Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
grenzte. Während dieser Zeit konnte man über nichts mit ihr sprechen und sie von nichts unterhalten. Apraxin, der vielleicht die Gefahr für größer hielt, als sie wirklich war, hatte es wahrscheinlich nicht für ratsam gehalten, sich noch weiter in Preußen vorzuwagen, sondern für besser befunden, eine Rückwärtsbewegung zu machen, um sich der russischen Grenze zu nähern. Unter dem Vorwande, daß es ihm an Lebensmitteln gebrach, ging er immer weiter zurück, zumal er voraussah, daß im Falle des Todes der Kaiserin dieser Krieg sofort aufhörenwürde. Es war schwer, den Schritt Apraxins zu rechtfertigen; aber dies mußte wohl der Grund seiner Handlung sein, denn er hielt sich in Rußland für äußerst nötig.
Graf Bestuscheff ließ mir durch Stambke mitteilen, welche Wendung das Benehmen des Grafen Apraxin nähme, worüber sich der kaiserliche und der französische Gesandte laut beklagten. Er ließ mich dringend bitten, dem Marschall ganz im Vertrauen zu schreiben und meine Vorstellungen mit den seinigen zu vereinigen, um ihn zur Umkehr zu bewegen und eine Flucht zu beendigen, die seine Feinde gehässig und unheilvoll auslegten. In der Tat schrieb ich an den Marschall Apraxin einen Brief, in welchem ich ihn von den üblen in Petersburg umlaufenden Gerüchten in Kenntnis setzte und ihm sagte, daß seine Freunde nur mit Mühe seinen übereilten Rückzug rechtfertigen könnten. Ich bat ihn ferner, wieder vorwärts zu gehen und die von der Regierung erhaltenen Befehle zu befolgen. Der Großkanzler Bestuscheff schickte ihm diesen Brief; Apraxin antwortete mir nicht.
Inzwischen sahen wir den kaiserlichen Generalbaudirektor General Fermor von Petersburg abreisen und von uns Abschied nehmen, der, wie man uns sagte, bei der Armee verwendet werden sollte. Er war früher Generalquartiermeister des Grafen Münnich gewesen. Das erste, was Fermor verlangte, war, seine Untergebenen im Baufach, die Brigadiers Reaznof und Mordwinoff mit sich nehmen zu dürfen. Mit ihnen ging er zur Armee ab. Es waren Militärs, die bisher nur Baukontrakte gemacht hatten. Sobald er angekommen war, befahl man ihm, den Oberbefehl an Stelle des Grafen Apraxin zu übernehmen, der zurückberufen wurde. Auf seiner Reise nach Petersburg fand dieser in Trihorski einen Befehl vor, hier seine Fahrt zu unterbrechen und die Befehle der Kaiserin zu erwarten. Es dauerte lange, bis diese kamen,weil seine Freunde, sowie seine Tochter und Peter Schuwaloff alles taten, Himmel und Erde in Bewegung setzten, um den Zorn der Kaiserin zu besänftigen, den die Grafen Woronzow, Buturlin, Iwan Schuwaloff und andere anfachten. Diese wieder wurden von den Gesandten des Versailler und Wiener Hofes aufgehetzt, Apraxin zu schaden. Endlich ernannte man eine Untersuchungskommission. Aber schon nach dem ersten Verhör bekam der Marschall Apraxin einen Anfall von Apoplexie, woran er vierundzwanzig Stunden später starb.
In diesen Prozeß wäre sicher auch der General Lieven verwickelt worden, denn er war der Freund und Vertraute Apraxins. Dies würde mir noch mehr Kummer verursacht haben, denn Lieven war mir aufrichtig ergeben. Aber so groß auch meine Freundschaft immer für Apraxin und Lieven gewesen, ich kann es beschwören, daß mir die Ursache ihres Verhaltens und dieses selbst völlig unbekannt war, obgleich man versucht hat, das Gerücht auszusprengen, daß sie, nur um mir und dem Großfürsten zu gefallen, rückwärts gegangen wären.
Lieven gab zuweilen sehr sonderbare Beweise seiner Ergebenheit gegen mich; unter andern auch folgenden. Einst veranstaltete der Gesandte des Wiener Hofes, Graf Esterhazy, einen Maskenball, an dem die Kaiserin und der ganze Hof teilnahm. Als Lieven mich durch den Saal gehen sah, sagte er zu seinem Nachbar, dem Grafen Poniatowski: »Das ist eine Frau, für die ein ehrlicher Mann einige Knutenhiebe ohne großen Kummer ertragen könnte.« – Ich habe diese Anekdote vom Grafen Poniatowski, dem nachmaligen König von Polen, selbst.
Nachdem General Fermor das Oberkommando übernommen hatte, beeilte er sich, seine Instruktionen auszuführen, nämlich vorwärts zu marschieren. Trotz der rauhen Jahreszeitbesetzte er Königsberg, das ihm am 18. Januar 1758 eine Deputation entgegenschickte.
Im Laufe des Winters bemerkte ich plötzlich eine große Veränderung im Benehmen Leon Narischkins. Er fing an, unhöflich und grob zu werden, kam nur widerwillig zu mir, tat Aeußerungen, die deutlich bewiesen, daß man ihm eine gewisse Abneigung gegen mich,
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