Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
einzuführen. Sagen Sie ihr, dieser Schritt sei von solcher Wichtigkeit, daß ich nicht die wenigen Augenblicke verlieren möchte, die ich brauchen würde, um nach Hause zurückzukehren und ihr zu schreiben, sondern daß ich Sie auf der Straße beschworen habe, es ihr zu sagen und ihre Ankunft zu beschleunigen; vielleicht komme ich ihr selbst entgegen.«
Was die Postkutsche betrifft, von der ich sprach, so muß ich bemerken, daß ich am Abend vorher nach dem Besuch Passiks und Bredichins an Madame Skurin, die Frau des Kammerdieners der Kaiserin, schrieb, und sie bat, ihren Wagen mit vier Postpferden nach Peterhof zu schicken. Dort solle man denselben für die Kaiserin in Bereitschaft halten, falls ihre Anwesenheit in Petersburg nötig wäre. Ich wußte wohl, wie schwer, ja unmöglich es sonst gewesen wäre, einen Wagen zu bekommen, ohne daß Ismailoff, der kaiserliche Hausintendant, etwas davon erfahren hätte – ein Mann, der am wenigsten geneigt war, die Flucht der Kaiserin zu begünstigen, Panin, der die Katastrophe einer Thronrevolution noch für ebenso fern als unsicher hielt, lachte über meine Vorsicht als über einen voreiligen Schritt. Aber so wie die Ereignisse kamen – wer weiß, ob wir ohne den Wagen zum Ziele gelangt wären.
Nachdem ich Orloff verlassen hatte, kehrte ich nach Hausezurück, aber in einer solchen Aufregung, daß ich wenig Neigung verspürte, alles ruhig abzuwarten. Ich hatte mir einen vollständigen Herrenanzug bestellt, der an diesem Abend fertig sein sollte, aber der Schneider hatte ihn noch nicht geschickt. Dies war eine große Enttäuschung für mich, da das weibliche Kostüm mir Zwang und Zurückhaltung auferlegte. Um dem Verdacht oder der Neugier meiner Dienstboten zu entgehen, legte ich mich zu Bett. Aber schon eine Stunde darauf wurde ich durch ein heftiges Pochen an der vorderen Haustür aufgeschreckt. Ich sprang sofort aus dem Bett und eilte in das anstoßende Zimmer und befahl, jeden, wer es auch sei, vorzulassen. Ein mir unbekannter junger Mann trat ein, der sich selbst als den jüngsten Orloff vorstellte. Er kam, wie er sagte, um zu fragen, ob es nicht zu früh sei, nach der Kaiserin zu schicken, die durch eine voreilige Abfahrt nach Petersburg nur unnötig aufgeregt würde. Weiter konnte ich nichts hören. Mein Unwille hatte den höchsten Grad erreicht, und ich versuchte durchaus nicht, meinen Zorn zurückzuhalten, den ich in diesem Augenblick gegen alle drei Brüder fühlte, weil sie – wie ich mich sehr unartig ausdrückte – gezögert hatten, meine Alexis Orloff gegebenen Befehle auszuführen. »Sie haben schon viel kostbare Zeit verloren!« rief ich, »und was Ihre Angst betrifft, die Kaiserin zu erschrecken, so lassen Sie sie lieber ohnmächtig hierher bringen, anstatt sie der Gefahr auszusetzen, ihr Leben in einem Gefängnis zu fristen oder es mit uns auf dem Blutgerüst zu endigen. Sagen Sie daher Ihrem Bruder, er solle eiligst nach Peterhof reiten und die Kaiserin, ohne einen Augenblick zu verlieren, nach Petersburg bringen, ehe Peter III. Nachricht erhält, vor ihr ankommt und einen Plan vereitelt, den der Himmel selbst zur Rettung unseres Vaterlandes und der Kaiserin darbietet.«
Er schien von meinem Ernst ergriffen und verließ michmit der Versicherung, daß sein Bruder sogleich meine Befehle vollziehen solle.
Nachdem er fort war, verfiel ich in düstere Betrachtungen. Einmal in diese Gedanken versunken, stiegen mir kaum andere Bilder als solche der fürchterlichsten Art auf. Ich sehnte mich, der Kaiserin entgegenzugehen, aber die erwähnte Enttäuschung mit den Männerkleidern war ein böser Zauber, der mich an die Einsamkeit und Untätigkeit meines Zimmers bannte. Das geringste Geräusch erschreckte mich, und ich stellte mir Katharina, das Ideal meiner Seele, blaß, entstellt, sterbend als das Opfer unserer Unvorsichtigkeit vor. Diese furchtbare Nacht, die mir als ein ganzes Leben voller Leiden erschien, ging endlich vorüber, und wie soll ich das Entzücken beschreiben, mit welchem ich den ereignisvollen Morgen begrüßte, als mir die Nachricht gebracht wurde, die Kaiserin sei in die Hauptstadt eingeführt und von der Ismailoffskischen Garde als Herrscherin proklamiert worden; sie geleiteten sie jetzt zur Kasanerkirche, begleitet von dem übrigen Militär und den Bürgern – alle begierig, den Eid der Treue zu leisten.
Es war sechs Uhr morgens. Ich befahl meinem Kammermädchen, mir ein Galakleid zu bringen, und fuhr nach dem Winterpalast, wo, wie ich
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