Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Tschoglokoff lachte und sagte: »Allerdings, eine echte Frauenlaune.« Dabei blieb es, und der Großfürst wußte mir in doppelter Beziehung Dank, erstens für die Salbe, die ihm von Nutzen war, und zweitens für meine Geistesgegenwart, die selbst bei Tschoglokoff nicht den geringsten Argwohn zurückließ.
Da ich die Osternacht durchwachen mußte, ging ich am Sonnabend vorher schon um fünf Uhr nachmittags zu Bett, um bis zu der Stunde zu schlafen, wo ich mich anzukleiden hatte. Kaum aber befand ich mich im Bett, als der Großfürst eilig hereinstürzte und mich aufforderte, unverzüglich aufzustehen,um Austern zu essen, die ganz frisch aus Holstein für ihn angekommen waren. Es war nämlich für ihn ein doppeltes Fest, wenn Austern ankamen, denn er aß sie nicht nur sehr gern, sondern sie kamen noch dazu aus seinem Vaterlande Holstein, für welches er eine besondere Vorliebe hatte, das er freilich deshalb nicht besser regierte, wo er im Gegenteil die scheußlichsten Dinge geschehen ließ, wie wir später sehen werden. Nicht aufzustehen würde ihn also sehr beleidigt und mich einem sehr heftigen Zank ausgesetzt haben. So erhob ich mich denn und begab mich in sein Zimmer, obgleich ich von den Andachtsübungen der heiligen Woche erschöpft war. In seinem Zimmer angelangt, fand ich die Austern serviert, aß ein Dutzend und erhielt dann die Erlaubnis, mich wieder niederlegen zu dürfen, während er blieb, um sein Austernmahl zu vollenden. Auch dadurch, daß ich nicht zu viel aß, erwies ich ihm einen Gefallen, denn um so mehr blieben für ihn übrig, da er im Austernessen unersättlich war. Um Mitternacht stand ich auf und kleidete mich an, um zur Frühmette und Ostermesse zu gehen, konnte aber wegen eines starken Kolikanfalls den Gottesdienst nicht bis zu Ende hören. In meinem ganzen Leben erinnere ich mich nicht, solche Schmerzen gehabt zu haben. Ich kehrte mit der Prinzessin Gagarin allein in mein Zimmer zurück, denn alle meine übrigen Leute waren in der Kirche. Sie half mir beim Auskleiden, legte mich zu Bett und schickte nach den Aerzten. Man gab mir Arznei und ich brachte die beiden ersten Festtage im Bett zu.
Neuntes Kapitel.
Graf Bernis, Graf Lynar und General Arnheim. – Verabschiedung meines treuen Kammerdieners Nevreinoff. – Frau von Arnheim. – Angenehme Gesellschaft bei Madame Tschoglokoff. – Meine Art zu reiten. – Ein neuer Anbeter. – Die beiden Soltikoffs. – Verlobung der Prinzessin von Kurland mit dem älteren Soltikoff. – Maskenbälle bei Hofe. – Theatervorstellungen des Fürsten Nussupoff. – Der Kadett Beketoff, ein zukünftiger Günstling der Kaiserin. – Mein Pudel Iwan Iwanowitsch. – Der Triumph der Einfachheit.
Ungefähr um dieselbe Zeit – ein wenig früher – kamen Graf Bernis als Gesandter des Wiener Hofes, Graf Lynar als dänischer Gesandter und General Arnheim als sächsischer Gesandter nach Rußland. Der letztere brachte seine Gemahlin, eine geborene Holm, mit. Graf Bernis, ein Piemontese, mochte damals einige fünfzig Jahre zählen, war geistvoll, liebenswürdig, heiter und klug, dabei von einem Wesen, daß die jungen Leute seine Gesellschaft der ihrer Altersgenossen vorzogen. Er wurde überhaupt allgemein geachtet und geliebt, und unzählige Male habe ich gesagt und wiederholt, daß, wenn dieser oder ein ihm ähnlicher Mensch dem Großfürsten beigegeben worden wäre, die besten Resultate daraus hätten erfolgen müssen. Das beweist schon die Tatsache, daß der Großfürst ebenso wie ich eine besondere Zuneigung und Achtung für Graf Bernis empfanden. Er erklärte selbst, in der Nähe eines solchen Menschen würde man sich schämen, Dummheiten zu begehen – eine vortreffliche Bemerkung, die ich nie vergessen werde. Graf Bernis hatte den Malteser Ritter Grafen Hamilton als Gesandtschaftssekretär bei sich. Als ich mich eines Tages bei dem letzteren nach dem Befinden des Gesandten erkundigte, da dieser unpäßlich war, fiel es mir ein, Hamilton zu sagen, daß ich eine sehr hohe Meinung vom Grafen Bathyani hege, den die Kaiserin Maria Theresia damals zum Erzieher ihrer beiden ältesten Söhne, der ErzherzögeJoseph und Karl, ernannt hatte, weil er in diesem Amte dem Grafen Bernis vorgezogen worden wäre. Und im Jahre 1780, als ich in Mohilew meine erste Zusammenkunft mit Kaiser Joseph II. hatte, erwähnte Seine Majestät, daß er von dieser Bemerkung wisse. Ich erwiderte, er wisse es wahrscheinlich vom Grafen Hamilton, der nach seiner Rückkehr aus Rußland ihm
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