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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Referat ein heftiges Streitgespräch über Geschmack, insbesondere über Geschmack im allabendlichen Werbefernsehen. Sollte man beispielsweise Feste wie Weihnachten als Hintergrund berücksichtigen oder übergehen?
    »Das reguliert sich selbst!« meinte ein Gelassener mit altem Bubengesicht. »Wenn im einen Jahr zu jedem Markenartikel Kerzen brennen und Glocken läuten, lassen die aufgeschlosseneren Kunden im nächsten keine solchen Spots mehr drehen.«
    Trotz großer Hornbrille und Körperfülle kam Lukas das alte Bubengesicht bekannt vor. Auch die Stimme. Doch das interessierte ihn jetzt nicht. Der Bekannte oder Unbekannte hatte ihm den Anstoß gegeben. Die Gelegenheit, sich endlich zu beteiligen und gleichzeitig etwas loszuwerden, war da: Er konnte nicht widerstehen.
    »Sollen die Glocken läuten!« sagte er leichthin. »Das ist es nicht, was mich stört. Solange aber während der Abendessenszeit — viele Leute essen ja fern — gehäuft Zahnprothesen- und Klosettreiniger, Sprays gegen Mund-, Fuß- und andere Gerüche angepriesen werden, daß es nur so sprudelt, sprüht und schäumt, sollten wir von Geschmack nicht reden.«
    Aufkommendes Gelächter scheiterte an einem einzelnen. Nur einige Ausländer lachten nach. Der Übersetzung wegen.
    »Man kann in der besten Sendezeit nicht ausschließlich für Luxusgüter werben!« rief das Einzelmännchen, »das wäre undemokratisch!«
    Undemokratisch — mit diesem Wort kam die Diskussion auf das falsche Gleis. Die Deutschsprechenden, und das wären etwa achtzig Prozent, sahen ihn erwartungsvoll an. Was wollte dieser Kauz, der sich bisher abgesondert hatte?
    »Ich habe nur gesagt, was ich für geschmacklos halte. Oder ist das undemokratisch?«
    »Vielleicht sollten wir den Begriff genauer definieren«, meinte ein jüngerer in der Hoffnung auf eine Marathondiskussion. Lukas grollte ihm schon antworten, hielt aber den Mund und ärgerte sich, daß er ihn nicht überhaupt gehalten hatte. Jetzt würde er einen Standpunkt beziehen müssen, den er vielleicht gar nicht vertrat, erklären, was nicht zu erklären ist, solange einer nicht verstehen will, beweisen, was er nicht dachte, und das alles nur, um ein Einzelmännchen mit Branchenscheuklappen zu beruhigen; Gelangweilt antwortete er: »Was Geschmack ist, erklärt der Herr am besten selbst. Er verteidigt ja den Fußpilz zum Schinkenbrot. Vielleicht hat er Gründe, vielleicht lebt er davon.«
    Die deutschen Männchen lachten, die Dolmetscher übersetzten, nachdem sie gelacht hatten, dann lachten die ausländischen. Das Einzelmännchen reckte sich. ‘
    »Sie müssen ja nicht essen in der Zeit, wo wir werben!«
    »Um mich geht es gar nicht. Ich stelle mir nur vor, wie undelikat.. »Sie brauchen sich’s ja nicht vorzustellen«, fiel ihm das Einzelmännchen ins Wort. »Wir haben ein Recht auf demokratische Gleichheit, und das lassen wir uns von Ihnen nicht beschneiden.« Lukas winkte ab, lächelnd als Zeichen der Versöhnlichkeit. Zu spät, das Einzelmännchen stand schon in Einschüchterungspose.
    »An Ihrer Stelle würde ich das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich kann Ihnen die Berufsverbände auf den Buckel hetzen, daß Sie nicht mehr froh werden!«
    »Lassen wir das.«
    »Das könnte Ihnen so passen!«
    »Gut«, sagte Lukas, »dann nehme ich mir einen Anwalt gegen Ihren Fußpilz.«
    Genau in die Pause zwischen dem Lachen der Deutschsprechenden und dem nach erfolgter Übersetzung kam die Frage: »Was wollen Sie damit sagen?«
    Lukas wollte nichts mehr sagen, hatte schon zu viel gesagt, weil dieses Einzelmännchen ihn reizte, eigentlich mehr zum Zeichnen als zum Streitgespräch, wollte sich aber auch nicht in die Verteidigung drängen lassen, murmelte unbeteiligt Halbdurchdachtes, daß man hier doch keine Desodorants ideologisieren wolle, brachte damit das Einzelmännchen erst recht auf, zumal Kollegen lachten, die jüngeren lauter, die älteren kollegialer. Mehrmals verlor das Einzelmännchen den Faden, bestand aber darauf, daß Lukas vom Thema abschweife, worauf dieser antwortete, er werde überhaupt nicht mehr schweifen, es werde ohnehin zu viel diskutiert.
    Da plusterte sich das Einzelmännchen zum Nationalmännchen auf, das einen Nestbeschmutzer gestellt hat.
    »Darf ich fragen, woher Sie kommen?«
    »Aus einem demokratischen Land«, sagte Lukas. »Aus England.«
    Die Brille des Einzelmännchens schien zu wachsen, sein Mund zu schrumpfen.
    »Sie sprechen völlig akzentfrei.«
    »Ich bin von

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