Erknntnisse eines etablierten Herrn
hier.«
»Emigriert?«
»Nein. Freiwillig.«
Hier unterbrach ein Pole. Vermutlich infolge unzureichender Übersetzung wollte er wissen, was denn im Fernsehen Geschmack mit Ideologie zu tun habe. Das ganze Werbefernsehen sei ein Produkt des Monopolkapitalismus. Besonders vor Weihnachten.
Darauf ließen ihm zwei Griechen durch ihren Dolmetscher beipflichten, und als ein Spanier, auch er wacker mißverstehend, das Thema auf Sex in der Werbung zwischen Karfreitag und Ostern unter besonderer Berücksichtigung der Iberischen Halbinsel umbog, sahen viele Männchen Lukas’ Ansicht bestätigt, daß in der Tat zu viel diskutiert werde.
Die Kongreßteilnehmer verließen den Saal. Einer sagte mit nachbarlichem Akzent:
»Komisch mit den Leuten hier! Kaum fangen sie an, Demokratie zu lernen, schon haben sie sie erfunden.«
»Vielleicht war der Mann die berühmte Ausnahme«, antwortete Lukas. Doch der Kongreßkollege schüttelte den Kopf und klagte ohne Ernst:
»Dieser Ernst! Dieser schreckliche Ernst, Herr Dornberg.«
»Woher wissen Sie meinen Namen?«
Da sah Lukas Dornberg das Schildchen am Revers des Kongreßteilnehmers: van der Vleuten stand darauf. Er griff ans eigene Revers und steckte sein Täfelchen in die Tasche.
»Der Ernst tut mir nicht weh. Was mich stört, ist der Rauch.«
»Sie haben recht.« Der Kollege blieb stehen. »Die Schnullerei ist fast noch schlimmer als Desodorant-Werbung zum Abendessen.«
Er könnte Holländer sein, der Bruder im Unernst, überlegte Lukas und schob ihn weiter.
»Es dauert eben, bis die orale Phase überwunden ist.«
»Ein hübsches Argument!« Van, der Vleuten lachte. »Vielleicht ist der Mensch überhaupt als Schnuller gedacht, und wir Nichtraucher sind die Neurotiker.«
Sie wären beim Grill angekommen.
»Besprechen wir das beim Essen.« Lukas wollte grade eintreten, als ihm jemand von hinten auf die Schulter klopfte. Jetzt aus der Nähe war das alte Bubengesicht voller Sommersprossen.
»Kennen wir uns nicht?«
»Ich komme gleich«, rief er van der Vleuten nach, sah den Quellkopf an. Jetzt erkannte er ihn: Donicke, Gebrauchsgraphiker und ehemaliger Konkurrent.
»Ich denke, ja.« Mehr sagte er nicht, wollte ihn zuerst reden lassen. »Hab ich mir’s doch gedacht. Mensch, Dornberg! So sieht man sich wieder, was?« Zwei fleischige Hände begriffen ihn. »Freu mich wahnsinnig. Wir müssen uns unbedingt sehen. Sie wohnen hier im Hotel? Übermorgen bin ich zurück, dann ruf ich Sie an. Dann gehen wir gemütlich schmausen und richtig klönen. Tja, keine Weile ohne Eile — die Maschine wartet leider nicht. Bis übermorgen. Sie wären prima! Tschüß.«
Es gibt Menschen, bei denen man nicht darum herum kommt, sie sich auf der Schulbank vorzustellen. Donicke war einer von denen, die ihre Kameraden beim Lehrer verpetzen und leicht Sonnenbrand gekommen. Von hinten hatte er etwas Rhombusförmiges.
Nach der Suppe entpuppte sich der Holländer als Belgier; ein Hotelboy lief durch den Grillraum, betätigte ein mildes Glockenspiel, um auf die Tafel aufmerksam zu machen, die er wie eine Monstranz vor sich hertrug.
Telefon für: stand säuberlich draufgemalt, und darunter mit Kreide, weniger säuberlich: Herrn Dornberg .
Kauend durchquerte Lukas die Halle.
»Hallo, hier ist das Telefon!«
Im knalligen Ledersessel lagert, wie für ein Werbefoto arrangiert, Andrea.
»Ich habe Sie ausrufen lassen.«
Lässig baumelt die Hand am ausgestreckten Arm, zum Zeichen, daß er sich setzen möge.
»Sie?« hört er sich sagen, mit fast beleidigendem Unterton.
»Ich!« sagt sie ungerührt.
»Was gibt’s denn?«
»Erst mal guten Tag.«
»Guten Tag.«
»Ich muß Ihnen etwas sehr Wichtiges sagen.«
»So?«
»Meine Mutter ist noch nicht zurück.«
»Und?«
Die baumelnde Hand kreist ungewiß.
»Ich war sowieso in der Gegend. Ich dachte, es interessiert Sie.«
»Doch, ja. Aber ich bin noch beim Essen; mit einem Herrn.«
»Einer von Ihren alten Freunden?«
»Nein. Wollen Sie mit reinkommen?«
»Ich warte solange.«
»Aber ich bin nachher verabredet.*
»Aha!« sagt sie. »Mit einem von Ihren alten Freunden?«
»Sie sind ein kluges Kind.«
Die nicht bestellten, aber unvermeidlichen Pommes frites ließ er stehen, aß weiter, und van der Vleuten sprach weiter. Daß er nicht mehr den Partner von vorhin hatte, störte den Belgier nicht, kam vielmehr seinem Mitteilungsbedürfnis gelegen: er konnte sich unwidersprochen verbreiten, und das tat er, bis hinaus in die Halle. Andrea saß noch
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