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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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ihm das Einzelmännchen auch geraten. Andrea beschleunigt.
    »Herrgott, sind Sie heut langweilig!«
    Nach frecher Fahrt durch ein Siedlungsgebiet voll Heimwerkeranbauten, Salatbeeten, Ministeingärten und anderen Zeugnissen kleinen Fleißes verliert sich der Puppenstubencharakter, die Gegend gewinnt wieder Großzügigkeit. Ein Gaskessel taucht auf wie ein übertriebenes Denkmal, ein dazugehöriges Gebäude mit Normaluhr über dem Eingang, ein zweiter Kessel, bis an die Reservegrenze zusammengesunken. Die Straße wird schlecht, Pflaster aus einem anderen Jahrhundert, alte Bäume, gußeiserne Zäune.
    »Da sind wir.«
    Vor einem Tor mit grimmigen Löwenfratzen hält Andrea. Hinten im Park schimmert durch die Bäume das Heim.
    »Sie werden schon sehen, daß ich recht habe.«
    Er steigt aus, geht nicht darauf ein, bedankt sich, winkt ihr zu.
    »Viel Spaß«, sagt sie.
    Aufheulend trägt der Feuerstier die junge Europa davon, die aus hundert Filmen bekannte Sequenz beginnt: Der Hauptdarsteller allein vor dem Tor des nobel verwahrlosten Herrensitzes. Er drückt die Klinke, in den Scharnieren quietscht es erwartungsgemäß, die Schuhe knirschen im Kies der Anfahrt, der gußeiserne Pavillon mit Rostpatina wirft seinen Schatten über den Weg, der künstliche Teich ohne Schwäne steht sumpfig, ungepflegt der Park, leere Beete, Laub vom letzten Jahr, hie und da eine Steinbank und, immer deutlicher hinter Büschen und Bäumen sich abzeichnend, das vielgiebelige Monstrum aus der Gründerzeit. Salonmusik klingt auf: Cello, Geige, Klavier, doch es ist nur die unvermeidliche Assoziation. Obwohl der Tag für die fortgeschrittene Jahreszeit erstaunlich mild war, hielt sich niemand im Freien auf. Vor einem Seiteneingang stand der schwarze Wagen mit offenen Hecktüren zur endgültigen Abreise bereit.
    Jung nahm Lukas die Stufen zum Haupteingang, öffnete die eigensinnige, für alte Menschen viel zu schwergängige Tür. Das Aroma alter Möbel, Vorhänge, Teppiche schlug ihm entgegen, gemischt mit frischer Farbe — eine Weh in der Welt, hundert Jahre zurück, aber renoviert. Voller Merkwürdigkeiten die Halle. Ein Jugendstil-Flamingo aus Porzellan, gut zwei Meter hoch, eine gewalttätige Anrichte, überladen mit heraldischem Getier und Geschirr, Greife, Löwen, Lindwürmer, Schilde, Schwerter, Fahnen, Helme, bärtige Köpfe — was eben germanisches Unbewußtsein an Unklarheiten und Blutdurst birgt. Neben der Treppe eine um Alabastereffekt sich mühende, unbescheidene Bodenvase, mit Reliefs aus der griechischen Mythologie verziert, darin eine lianenartige Zimmerpflanze, deren weitläufiges Geäst an deutschen Urwald im ehemaligen Kolonialgebiet erinnern möchte, um so mehr, als gleich daneben auf schwarzer Ebenholzsäule die schneeweiße Büste eines monarchistischen Militärs Zuverlässigkeit und Sicherheit im Stile seiner Zeit verbreitete. Gemälde in goldgipsigen Prunkrahmen, ein Lüster aus gestanzten Blechteilen, die durch Ketten miteinander verbunden wären und aussahen, als habe der Elektriker eine Ritterrüstung kunstgewerblich verarbeitet. Und in dieser Rumpelkammer der Hinterlassenschaften nirgendwo ein Mensch. Doch das Haus war bewohnt. Aus dem Souterrain drangen Geschirrgeklapper und Geschnatter herauf. An der Stiege hinunter bildeten Wirtschaftsdüfte eine Art Luftschleuse.
    Voller Zuversicht, doch noch von jemanden empfangen zu werden, durchschritt er das Parterre, Salons, nach alten Polstern muffelnd, eine Bibliothek ohne Bücher, die eingebauten Regale voller Nippes; eine altdeutsche Eßgruft mit Butzenscheiben und Humpen auf Gesimsen. Die angelehnte Tür, nach innen Eiche, kassettiert, nach außen Fichte, gestrichen, trennte Räume und Stände. Auf der abhängigen Seite befand sich eine Art Diele und die berüchtigte, durch den abendländischen Roman erst zum Begriff gewordene Hintertreppe.
    Es war ihm unmöglich, sich in dieser Kulisse kein Kino vorzustellen. Bilder drängten sich auf, bewegende bewegte Bilder: Das tuschelnde Personal, der rege Betrieb des Nachts mit den Schuhen in der Hand, mit der Köchin auf dem Schoß; der Hausbursche unterwegs zu unbezahlter Überstunde in ein Herrschaftsbett, der junge Herr angetrunken zum Kammerkätzchen schleichend — knisternde Heimlichkeit auf knarrenden Dielen.
    Wieder an der Urwaldliane vorbei, kam er zur Treppe und ging hinauf. Er hätte rufen können oder draußen klingeln. So war es reizvoller. Vom Treppenabsatz starrte ihm ein Dutzend Augen entgegen, Glasaugen, Nachlaß

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