Erknntnisse eines etablierten Herrn
Wolfgang an den jüngeren wandte:
»Was will er? Kompott?«
»Komplett!« rief ihm Lukas ins Ohr, »euer Haushalt ist sehr schön komplett!«
»Schade, wir hätten auch Kompott.«
Sie setzten ihren stummen Ehedialog fort, lächelten merkwürdig selbstgefällig, bis sich der Jüngere an den Gast wandte:
»Dir können wir’s ja sagen: Wir klauen!«
»Hübsche Idee!« lobte Lukas höflich, »zwei alte Intellektuelle, die klauen — das wär’ ein Film! Wenn’s ihn nicht schon gibt.«
Hierauf antworteten beide, flink und mit verteilten Rollen:
»Du mißverstehst uns. Wir klauen wirklich!«
»Aber nur Bedarfsgegenstände.«
»Jede kleine Notwendigkeit überschreitet ja bereits unser Budget.«
»Die Produktionsmittel sind tatsächlich falsch verteilt im Kapitalismus! Wir waren zur Selbsthilfe gezwungen.«
»Um auf Reformen zu warten, sind wir zu alt!«
»Den Jungen geht’s ja schon zu langsam! Was sollen wir da erst sa gen?«
Sie warteten, bis ihr Gast sich ausgelacht hatte.
»Das wär* ein Film! Aber für die Praxis, seid ihr da nicht ein bißchen zu alt?«
Wieder antworteten sie verteilt:
»Das dachten wir anfangs auch.«
»Bis wir gemerkt haben: wir klauen gern.«
»Klauen ist ein reines Altershobby. Erst wenn’s einem niemand mehr zutraut, macht’s richtig Spaß.«
»Und wenn ihr erwischt werdet?«
Vierhändig winkten sie ab, wie gelangweilte Profis, »Bei unseren Charakterköpfen?«
»Als alter Herr kann man sich nur aus Zerstreutheit vergriffen haben. Das Motiv Stehlen scheidet völlig aus; die Bestohlenen entschuldigen sich.«
»Meist bekommen wir das corpus delicti sogar geschenkt. Zur freundlichen Erinnerung.«
»Wenn Bildröhren nicht so unhandlich wären, hätten wir längst wieder einen Fernseher.«
Hier riß der Dialog ab wie eine Bandaufnahme. Gelassen sahen die beiden ihren Gast an, damit er sich äußern könne, denn sein belustigtes Köpfschütteln deutete für sie darauf hin, daß er das wünsche, und Lukas sagte:
»Von allen radikalen Jugendlichen seid ihr die geschicktesten, ihr Konservativen Anarchisten!«
Der jüngere Wolfgang räumte die Rauchutensilien wieder in die Waschttischschublade, holte aus dem unteren Fach eine Flasche, füllte die Schnapsgläser verschiedener Herkunft; der ältere nahm sich eines und hob den Arm, so hoch er konnte:
»Wir freuen uns, daß du wieder da bist!«
»Auf allzeit gute Beute!« erwiderte der Gast und merkte sofort, daß es ein Spitzenerzeugnis sein mußte, das ihn brannte. Der jüngere Wolfgang las ihm den Gedanken von den beredt geschützten Lippen, drehte ihm das Etikett der Flasche zu und sagte: »Williamsbirne. Handgepflückt!«
»War was Wesentliches heute morgen?« fragte van der Vleuten, zu dem Lukas sich im Konferenzsaal setzte, um ihn zu fragen, ob etwas Wesentliches gewesen sei, heute morgen. »So, Sie wären auch nicht da«, sagte er statt dessen. Van der Vleuten grinste nicht unerwartet.
»Ich habe lange geschlafen und ausgiebig gefrühstückt. In netter Gesellschaft. Ihr Beispiel gestern war sehr anregend.« Zu Einzelheiten kam er glücklicherweise nicht; die Diskussion hatte schon begonnen. Noch plänkelten sie, redeten sich in Form mit Problemchen, die sie nicht zu Ende diskutierten, sondern durch jeweils größere ersetzten, die wiederum an den nächstgrößeren scheiterten und so fort bis zur Schicksalsfrage der Branche: Wohin marschiert die Werbung? Rauchgirlanden trieben über der Szene wie erstickte Fische in einem toten Gewässer.
Ursprünglich hatte Lukas den beiden Wolfgängen einen Freßkorb schicken wollen. Doch was die beiden für den täglichen Bedarf brauchten, das ließen sie sozusagen in die Satteltaschen ihres Steckenpferds verschwinden. Was sie aber für den junggebliebenen Geist benötigten, das konnten sie nicht verschwinden lassen. Als Kulturkritiker gewohnt, mit Einbruch der Dunkelheit hellwach zu werden — weil ja ein Leben lang in Theaterpremieren, Konzerten, Vorträgen, Opern, Kongressen, auf Ausstellungen und bei Preisverleihungen zu Hause fehlte ihnen die Reibung zur Abendstunde. Im nächsten Radiogeschäft hatte er einen Fernsehapparat gekauft, mit der Bitte, ihn noch am Nachmittag zu liefern und anzuschließen.
»So ein Quatsch!« schimpfte van der Vleuten und schloß Lukas damit wieder an die Diskussion an.
Reformkonformisten stellten die üblichen halbkühnen Forderungen, die, netto betrachtet, doch nur auf höheren Gewinn hinauslaufen, und schaukelten sich in Branchenethos, bis
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