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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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so was?«
    »Na, die Alten! Wer sonst?«
    Zum Zeichen, daß er kein Spielverderber sei, nickte Lukas, worauf sich eine Hand in seine Taille stemmte und ihn zum nächsten Ausgang schob. Willig ließ er sich leiten.
    Andrea fuhr in einen Stadtteil, den er nicht kennen konnte. Zu seiner Zeit hatten hier noch Unkraut und Müll die fatale Grenze zwischen Natur und Zivilisation gekennzeichnet. Jetzt standen Hochhäuser da, Erektionen des Fortschritts, übersät mit Riesenmosaiken aus beleuchteten Waben, bunt und willkürlich wie moderne Kirchenfenster. Sie sprach wenig, fand unter den Blöcken den Block. Mit dem Lift wurden sie hinaufgeschwebt, liefen über lange Gänge zu dem Menschenschließfach; Andrea wußte die Nummer.
    Lärm empfing sie, Menschengeruch und Rauch, fast wie Styropor so dicht. Lukas sah ins Halbdunkel: die Party spielte sich unter der Gürtellinie ab, Stühle wären Tische, voller Gläser, Flaschen, Papp- und Aschenbecher; mit krummen Rücken hockte die Clique am Boden, lag, kauerte, aß, trank, rauchte, faßte sich an, vertraut, aber neutral, und redete, redete, redete, miteinander, durcheinander. Lukas konnte niemanden erkennen, zu dämmrig, zu viel Haar, zu zahlreich die wie Glühwürmchen sich bewegenden Zigarettenköpfe, unbarmherzig Hobbysmog erzeugend, und zur restlosen Verdichtung des Konzentrats eine Exekutionsmaschine für Hörnerven, die im Phonbereich von Düsentriebwerken lief.
    »Ja, der Herr Regierungspräsident mit Krawatte!« rief etwas Junges vom Boden herauf. »Mutti hat dich aber fein gemacht!«
    Dem Zittern der Haare nach lachten die Umsitzenden, zu hören wären sie nicht. Die respektlose Flachserei gefiel Lukas wesentlich besser als das Aufbegehren beleidigter Männchen; er sah, wie Andrea langbeinig über Sitzende und Liegende in die Tiefe des Raumes strebte und ihn einfach stehen ließ. Mit einem Gastgeber, der ihn begrüßt hätte, konnte Lukas hier nicht rechnen. Was sollte er tun? Überhören oder auf den Ton eingehen? Er kam sich vor wie sein früherer Gymnasiallehrer.
    »Guten Abend!« brüllte er hinunter.
    »Schau. wie gut erzogen er ist!« brüllte die Stimme herauf. »Kommt rein und sagt guten Abend. Guten Abend, Opa, setz’ dich doch!«
    »Da müssen Sie erst Ihre großen Füße wegnehmen, Junior!«
    »Wieso sagst du Sie zu uns?« fragte eine andere Stimme.
    »Damit Sie sich erwachsen fühlen können. Ist doch nett von mir, oder?«
    Andrea war nicht mehr zu sehen. Ein Mädchen boxte einen Jungen, damit er ihr zuhöre:
    »Wollen wir ihm die Krawatte abschneiden?« fragte es.
    »Aber, aber!« rief Lukas, »das sind ja Stammtischscherze. Außerdem kann ich mir morgen tausend neue kaufen. Ich bin nämlich Kapitalist!«
    »Dann blättre mal schleunigst jedem hier einen Blauen in die Hand«, provozierte einer mit schwerer Zunge.
    »Nicht doch! Ein richtiger Ausbeuter verschenkt kein Geld. Der will was. Und ich will jetzt was zu trinken.«
    Gleich würden sie ihn fragen, wieso er mit Andrea gekommen sei, ob er sie aushalte, wie das miese Kapitalisten so machen, würden in Einzelheiten gehen. Aber sie fragten nicht; einer brachte ihm ein Bier in englischer Temperierung, ein anderer bot ihm Zigaretten au, und wenn er essen wolle, müsse er in die Küche gehen und sich was aussuchen. Offenbar hatte er die Aufnahmeprüfung nach dem neuesten Krieg bestanden. In der Küche war die Musik nur noch viel zu laut. Neben dem großen Büfettisch stand, mit vollen Backen einem Reklamebild für Babynahrung nicht unähnlich, der Waldbauernbub mit dem martialischen Schnurrbart. Sein Gesicht glänzte wie die Lederjacke, die er trug, und wie das Schmalzbrot in seiner Hand.
    »Das einzig Wahre ist doch der Kommunismus!« verkündete er, als sei das etwas besonders Lustiges. Höflich-uninteressiert nickte Lukas, nahm sich einen Pappteller und wählte aus dem recht kapitalistischen Angebot. Langsam, ohne sein Schmatzen zu unterbrechen, kam der Waldbauernbub herüber.
    »Sie hab ich doch kürzlich beim Drehen gesehen?«
    Wieder nickte Lukas, bemerkte die Anrede mit Sie, nahm zwei Schinkenröllchen mit Spargelspitzen und sah sich, als er den leichten Teller mit Waldorfsalat beschwerte, unversehens mit der Kunst konfrontiert.
    »Immer was Neues ist Scheiße!« mampfte der Waldbauernbub, »ich arbeite jetzt völlig antiprogressiv, nur noch auf Kompression.« Kalten Braten, Perlzwiebeln, zwei Möweneier, Remouladensauce.
    Lukas wußte nicht recht, was sein glänzender, Nachbar meinte, wollte aber

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