Erknntnisse eines etablierten Herrn
einige jüngere Teilnehmer die Berufsverlogenheit sprengten.
Einer sagte:
»Ich weiß nicht, was mich mehr ankotzt: diese Moderne-Menschen-Masche der heilen Mannequinwelt mit Sportwagen und Jet im Hintergrund, oder die Hausfrauenputzteufelchenseligkeit, wo Papi und die lieben Kleinen strahlen, weil alles so pflegeleicht glänzt, oder die restlos beschissene Einschüchterungstour mit Unfall, krankem Kind und Karies.«
Wie es dazu gekommen war, wußte Lukas nicht; daß es dazu gekommen war, merkte er erst mittendrin, als ein Männchen >Leiser!< rief, wegen der Rückkopplung — denn Lukas sprach in ein Mikrophon und bestätigte die alte Erfahrung, daß man nach Gesprächen mit Schwerhörigen noch eine Weile weiterschreit, als freuten sich die Stimmbänder der ungewohnten Gelegenheit, zeigen zu dürfen, was sie können.
Wunschgemäß sprach er leiser. Daß die Branche sich eigentlich selbst verbieten sollte, hatte er bereits empfohlen, für den Werbejargon Kahlschlag gefordert, weil sie alle so eine Art Verbal-Nazis wären, die mit ständigem. Superlativ-Trommelfeuer jede Sprache inflationsreif schießen.
Das unbekümmerte Sprechen machte ihm Laune, obwohl er die Folgen ahnte. Ohne Pause reihten sich seine Gedanken, und er merkte daran, wie lange ihn schon drückte, was er jetzt in Worte goß:
»Um noch deutlicher zu werden: Wir sind die Animierdamen des Kapitalismus. Wir verführen aus Profitgier für Profitgier, hindern damit Bewußtseinsbildung, schränken die Freiheit der Entscheidung ein und belügen die Kundschaft. Wer Zigaretten oder Badeessenzen, von denen er bei aller Ignoranz selber schon gehört hat, daß sie krebsfördernd wirken, als erstrebenswerte Genüsse anpreist, ist ebenso kriminell wie Arzneimittelfirmen, die Kranke mit vierhundert Prozent Gewinn ausbeuten. Und daß sich ganze Teams von erwachsenen Männern die Köpfe darüber zerbrechen, wie beispielsweise irgendein Spray gegen irgendeine Unappetitlichkeit dezent, gleichzeitig aber marktschreierisch angepriesen werden könnte, ist für mich Vergeudung von Denkkraft. Was ließe sich mit den Werbemilliarden, die da jährlich zur Volksverblödung, zur Verschandelung der Landschaft und Fassaden aufgewendet werden, durch ein kleines Gesetz für die Allgemeinheit tun: Werbung nur mit öffentlichem Nutzen. Ein Konzern baut eine Schule, die dann seinen Namen trägt, Firmen stiften Kindergärten, Sportanlagen, unterhalten Arhletikmannschaften, wie es das schon gibt, veranstalten Wettbewerbe, stiften Preise und Stipendien. Jeder, der etwas herstellt, soll grundsätzlich auf sich aufmerksam machen dürfen. Durch Leistung für die Allgemeinheit wohlbemerkt, nicht durch Verdummung der Allgemeinheit und Schädigung ihrer Gesundheit.«
Prompt stand ein deutsches Männchen auf, nannte ihn destruktiv und einen Nestbeschmutzer; einige traten bescheiden für ihn ein; die Mehrheit blieb ohne Meinung. Man war nett zueinander, hatte Familie und wollte sich’s mit keinem verderben.
Wie üblich beendete der Uhrzeiger die Diskussion. Mit dem Gefühl, es werde doch viel zu wenig diskutiert, war Lukas in sein Zimmer hinaufaufgeschwebt, um sich umzuziehen (ein freier Daheimarbeiter ist das nicht gewohnt, den ganzen Tag in ein und demselben Anzug eingesperrt zu sein). Er fuhr aber dann doch wieder hinunter, wollte sich nicht drücken nach seinem Diskussionsbeitrag, sich sehen lassen auf dem Empfang, nahm’ ein Glas mit auf den Rundgang, mampfte Häppchen und beobachtete.
Jetzt redeten vor allem diejenigen, die im Saal kein Wörtchen gewagt hatten, erzählten drei, höchstens vier Zuhörern, was sie beinah gesagt hätten.
Tagungsteilnehmer — das wäre auch einmal eine Geschichte für sein Männchen. Mit Namensschild am Revers, Zigarette und Krawattenklammer, das Glas in der Hand mit dem Siegelring. Im Hintergrund an der Wand große Schrift mit dem Motto der Tagung, vorne sein Männchen in überlegener Pose auf Tagungsteilnehmer einredend. Darunter etwa der Text: Wenn ich nicht gerade ein Käsehäppchen gegessen hätte, na, denen hätte ich was erzählt!
Aus einer Gruppe löste sich einer und kam zu Lukas.
»Sie sind kein Nestbeschmutzer. Das war sehr kurzsichtig von dem Kollegen. Werbung gehört überhaupt verboten, wie Sie ganz richtig gesagt haben.«
»Das hab ich nicht gesagt.«
Triumphierend blies ihm das Männchen Rauch ins Gesicht. »Aber wie Sie es nicht gesagt haben! Ich irre wohl nicht, wenn ich sage, Sie sind einer von uns? Das mit den Verbal-Nazis
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