Erknntnisse eines etablierten Herrn
auswendig gelernten Thesen im Kopf, sondern fundiert, eine Art Linksjesuit Er begann die Unterhaltung mit dem üblichen Aufsagen linker Texte, montierte aus ideologischen Fertigteilen scheinbar Schlüssiges und erwartete Zustimmung. Oberflächlich gehandhabt, ist das ganze Soziound Politologiechinesisch reiner Potterismus, dachte Lukas, der nicht nur wegen der sogenannten Musik nichts verstand:
»Erstaunlich, mit wie wenig Deutsch Sie deutsch sprechen!« potterte er weiter. Doch im Gegensatz zum Waldbauernbuben hielt sich dieser Rainer nicht an die Spielregeln der Eitelkeit, die Pottern erst möglich macht. Ihm war es ernst mit dem, was er sagte, bitter ernst. Glatt hätte er zugegeben, wenn er etwas nicht gewußt oder nicht verstanden hätte. Lukas konnte ihm da nichts bieten. Denn dieser Rainer kannte sich aus, wurde immer fremdwortreicher, immer komplizierter; formulierte Sätze so komprimiert-verquer, so tropisch-abstrakt, daß Lukas sie nicht einmal hätte wiederholen können, geschweige darauf antworten.
Dazu ließ ihm dieser Rainer auch keine Gelegenheit,, redete ohne Punkt und Straucheln, verkündete das Dogma mit Eindringlichkeit, als wolle er ihn nicht nur überzeugen, sondern auf der Stelle taufen. »Warum denn so genau, junger Freund? Was ein richtiges Ideal ist, das muß ein bißchen verschwommen sein, damit die Leute dran glauben können!« hätte er einem ändern geantwortet. Diesen Rainer aber bewunderte Lukas für sein Wissen, seine Beredsamkeit, seine geistige Kondition. Wie ungleich einfältiger war er selbst gewesen, seinerzeit in Rainers jetzigem Alter, ein Leichtfuß, ein Ignorant.
Nette Altkinder sammelten sich um sie, lauschten den heiligen Texten des Atheisten; sogar die Beschallung wurde so etwas wie leiser. Und nirgendwo Andrea. Hatte sie ihn nur mitgenommen, um ihn auszusetzen? Damit er sich blamiere bei diesem Rainer, der ihm gerade die Antwort auf etwas von ihm selbst Behauptetes in den Mund legte (einen dialektischen Doppelsalto, auf den Lukas nie gekommen wäre), um sie, ohne Luft zu holen, mit einer Blitzmontage aus dem ideologischen Baukasten zu widerlegen.
Immer besser gefiel ihm der junge Mann, immer deutlicher erinnerte er ihn mit seinem missionarischen Eifer, seinem Willen, Besseres zu schaffen, an Daniela. Sie würde verstehen, wovon er sprach, sie hatte denselben Motor. Ein Bild drängte sich ihm auf: Er sah diesen Rainer als seinen Altersgenossen, mit Notabitur, Mützenhaarschnitt und glatt rasiert. Viele hatte er gekannt mit Rainers Ausdruck, diesem Blick des Freiwilligen, anständig engagiert und darauf brennend, sich im Sinne der ideologischen Zeitmode zu bewähren. Rainer hätte die Kriegsschule besucht, seinen Leutnant gemacht und wäre sofort gefallen.
Jetzt verstand er ihn besser, nickte ihm zu, als wolle er sagen: Es freut mich für dich, daß du deinen guten Willen vernünftiger und weniger lebensgefährlich einsetzen kannst! Und Rainer antwortete: »Mit Ihnen kann man reden. Sie können noch zuhören. Man muß sich ja auch mal mit einem Alten auseinandersetzen. Kommen Sie öfter! Heut in acht Tagen sind wir wieder hier.«
Von hinten legte sich eine Hand auf die Schulter des gelobten Alten.
»Gehen wir.«
»Andrea. Wo wären Sie denn die ganze Zeit?«
»Ich hab Sie beobachtet.«
Sie stieg über Diskutierende, er stieg ihr nach, mußte sich nicht entschuldigen, nicht verabschieden, seine Zuhörer hatten sich zerstreut; Rainer war nicht mehr zu sehen. In der telefonzellengroßen Diele srehte sich Andrea um.
»Sie haben sich ganz gut gehalten.«
»Wie wollen Sie das beurteilen? Sie wären ja nicht dabei.«
»Wenn Rainer einen wieder einlädt, dann ist der gut. So ist das.« Am Büfett in der Küche stand noch immer der Waldbauernbub mit dem Schmalzbrot und redete auf jemanden ein. Als die Tür zufiel, atmete Lukas auf. Gegen das eingebeizte Menschenschließfach war der stickige Korridor eine reine Ozonquelle. Durch Knopfdruck bestellte Andrea den Fahrstuhl. »Hat’s Ihnen gefallen? Sie sagen gar nichts.«
Er sagte, es sei sehr interessant für ihn gewesen, und sie fragte, ob das alles sei, was er dazu zu sagen habe. Der Magen meldete den S tart des Fahrstuhls; sie lehnten einander gegenüber. Lukas hatte noch mehr dazu zu sagen.
»Manchmal beneide ich euch um eure Freiheiten. Und dann tut ihr mir wieder leid. In zehn Jahren tragt ihr alle Krawatten.«
»Ich und Krawatte? Sie spinnen.«
»Symbolisch, Andrea. Symbolisch!«
Sie schüttelte ihr schwarzes
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