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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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nicht fragen, hier, wo Dreißigjährige bereits als gaga belächelt werden, und kam so zwangsläufig aufs Pottern, jene Hohe Schule der Arroganz, bei der es gilt, dem Gesprächspartner klarzumachen, wie wenig er von dem versteht, worüber er spricht, gleichzeitig durchblicken zu lassen, was für ein ausgekochter Kenner der Materie man selber ist — und das alles, ohne auch nur den Anflug einer Ahnung zu haben.
    Wenn also der Waldbauernbub sagt: Ich arbeite völlig antiprogressiv, nur noch auf Kompression! läßt der erfahrene Potterer erkennen, daß er nicht nur verstanden hat, wovon die Rede ist, sondern weit über der Sache steht.
    Mit dem Ausdruck erheblichen Befremdens sah Lukas ihn an und sagte mit leicht enttäuschtem Unterton:
    »Merkwürdig. Sie hätte ich auf anti-anti-anti geschätzt.«
    Utner dem Schnauzbart stoppte das Schmalzbrot.
    »Wieso? Wie meinen Sie das?«
    An dieser Stelle lächelt der Potterer breit und lang und sagt damit: Aber Junge! So was fragt man doch nicht! Das weiß man! — um es dann aus purer Gutmütigkeit doch zu erklären. »Ganz einfach.« Lukas fabulierte drauflos. »Anti ist klar, sonst wär’s ja bürgerlich, anti-anti ist schon wieder bürgerlich, also anti-anti-anti.«
    Der Schnauzbart hob sich, als wolle er ein geistiges Hoch ankündigen.
    »Klar. Aber Doppelfabel! Die Geschichte der Geschichte.«
    Wenn eine Antwort so klingt, als pottere der andere zurück, besagt das Erfolg: der Gegner hat angebissen, will sich keine Blöße geben. Sein Satz muß jedoch übertrumpft werden, damit kein Schwund der Überlegenheit entsteht. Wohlmeinend hob Lukas den Finger.
    »Sie haben recht. Ich fürchte nur, Sie wissen nicht warum.«
    »Doch, doch!« sagte der Waldbauernbub und wollte damit gleichziehen. Bei solchen Fällen von Renitenz wählt der erfahrene Potterer ein sogenanntes Okay-Wort, das heißt: er erfindet einen möglichst unverständlichen Begriff. Wieder hob Lukas den Finger, diesmal eindringlicher:
    »Ich meine Doppelfabel mit sozial-dystonischem Kompressor!«
    Wer könnte auf diesem Niveau noch zugeben, daß er nicht weiß, was ein sozial-dystonischer Kompressor ist? Der Waldbauernbub konnte es nicht. Sein Schnauzbart sank einem Tief entgegen.
    »Sie verstehen was! Sehr selten in Ihrem Alter.«
    Lob ist für den Potterer selbstverständlich und wird übergangen. Er nutzt seine gefestigte Position, um den Abstand zu vergrößern, indem er Zweifel sät:
    »Eines interessiert mich noch: Was machen Sie, wenn das Publikum Ihre Absicht nicht bemerkt?«
    »Das hat damit nichts zu tun.« Der Waldbauernbub schmatzte weiter Schmalzbrot. »Für die Absicht hab ich die Presse, das Fernsehen. Unsere Leute sitzen überall. Die Vorausinformation über das Werk — das ist der eigentlich künstlerische Teil, die Interviews, die Statements, wo ich sage, was ich beabsichtige, dem Publikum die Optik einstelle und es damit verändere. Der Film selber ist dann nur noch Geschäft.«
    Nach ausführlichen Bekenntnissen pflegt nicht mehr viel zu kommen. Der Potterer kann das Gespräch beenden, mit einem Ratschlag von höchster Warte. Am besten mit einem Okay-Wort. Siegesgütig lächelte Lukas und sagte:
    »Sie machen das recht ordentlich. Aber hüten Sie sich vor dialektischem Vigellinismus!«
    Breit grinste der Waldbauernbub, nickte und schmatzte, kumpanenhaft und neunmalklug, weil jeder, der gepottert wird, automatisch zurückpottert, wenn auch unbewußt.
    Auf einmal war die Küche voll.
    »Hat er wieder über Kunst gequatscht?« fragte einer der Du-Sager. »Seit ihn die Zeitungen zum Genie ernannt haben, muß er immer quatschen, damit er’s selber glaubt.«
    »Laß mal, er schafft auch ganz schön ran«, milderte eine, »in seiner Commune ist er wie ‘n Vater. Die brauchen keine Angst zu haben, die sind gesichert.«
    Belustigt über so frühzeitiges Versorgungsdenken verließ Lukas die Küche, ging zurück zu den netten Altkindern in ihr verqualmtes Spielzimmer, zu dieser wilden, manierlichen Jugend, die da saß, kauerte, aß, trank, rauchte, rauchte, sich anfaßte, vertraut, aber neutral, und redete, redete, redete, miteinander, durcheinander, wie sie nach bürgerlichen Neidvorstellungen vermutlich auch schlief, jeder und jede mit jeder und jedem. Andrea sah er nicht, aber sie sah ihn, mit wem er redete und wußte ungefähr worüber. Rainer hatte sich des Herrn mit Krawatte angenommen. Rainer, Bewohner des Schließfachs, Redakteur und überzeugter Sozialist, war kein Mode-Mäxchen mit drei

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