Erknntnisse eines etablierten Herrn
einen Mann, der noch nichts ist, nichts verdient, das gibt natürlich Spannungen. Renate ging halbtags in ein Möbelgeschäft als Verkäuferin.«
Eine dramatische Bewegung mit dem Topflappen unterstrich das schwere Schicksal des einzigen Kindes.
»Dann kam Norbert weg. Als Referendar auf ein Amtsgericht.« Dieser Part war wieder Sache von Karl-Heinz Zierholt. Die jungen Leute hätten sich auseinandergelebt, erfuhr der Gast weiter, was ja schnell gehe, wenn man nicht zusammen ist. Noch ein Versöhnungsversuch im Urlaub, Renate taufte ihn Alexander, dann war es aus. Sie hatte mittlerweile eine Stelle bei einem Immobilienhändler — auch er Akademiker übrigens — , wo sie sich rasch und gut einarbeitete und viel mehr bekam als in dem Möbelgeschäft. Vor allem das menschliche Klima war ungleich besser; der Chef hätte Renate auch geheiratet, trotz ihrer zwei Kinder. Aber er war selbst noch gebunden und hatte vier. Bald starb er ja auch — Jahrgang von Karl-Heinz — , und dann kam die Überraschung: Er vermachte Renate die Firma! Zur Weiterführung. Seine Frau und die Kinder fand er großzügig ab; sie haben das Testament nie angefochten. Renatchen war wie ausgewechselt. Zierholts zogen in das Büro, das viel zu groß war, eine ganze Wohnung, und das Haus wurde abgerissen. Natürlich erst, nachdem Renate es gekauft und die Mieter raus hatte. Ein Kapitel für sich. Na ja, und dann hat sie dieses schöne Haus gebaut, Vater Zierholt sieht jetzt nach dem Rechten und kassiert die Mieten; seinen Posten bei der Installationsfirma hat er aufgegeben, »Ja, so ist das, Herr Dornberg«, schloß der Herr Ingenieur. Frau Grete seufzte noch etwas nach:
»Wir können zufrieden sein. Renate ist sehr tüchtig, der Beruf macht ihr Spaß. Sie verdient viel Geld. Wir haben einen großen Mercedes und einen Porsche! Aber mit achtundzwanzig ist es doch nicht ganz das Richtige, so ohne Mann, gell?«
Diesmal nickte Lukas. Mehr fiel ihm dazu nicht ein. Warum stand er nicht auf und verabschiedete sich? War es wieder seine verdammte Bequemlichkeit, die ihn hielt, der ausgezeichnete Kaffee oder die Neugier auf Renate?
»Wissen Sie noch, wie Sie mit Renate getanzt haben, Herr Dornberg? Damals im Club. Das war ein Bild! So was vergißt eine Mutter nie.«
Vater Zierholt hatte seine Zunge mit Armagnac so weit gelöst, daß umschweiflos zur Sache kam:
»Da haben alle gesagt, das wird ein Paar!«
»Ein schönes Paar!« Mutter Zierholt versteckte sich hinter der Kaffeetasse, den kleinen Finger als Ausrufezeichen ins Nichts gereckt. Noch ahnte sie die Antwort nicht, auf die Lukas sich schon freute:
»Daraus konnte nichts werden. Sie haben mich ja rausgeworfen.«
Ihre Fassungslosigkeit war so groß, daß sie ihm schon wieder leid tat; die Tasse sank, wie im freien Fall.
»Mein Gott, Herr Dornberg. Tatsächlich! Entschuldigen Sie vielmals.«
»Sie hatten völlig recht. Es war sogar Ihre Pflicht! Ich hatte gegen die Hausordnung verstoßen — Damenbesuch, wenn Sie sich erinnern.«
Während sie vage Bewegungen ausführte, holte Vater Zierholt die Kiste mit den Zigarren.
»Danke, ich rauche nicht mehr.«
Über dieses Thema fand Frau Zierholt die Sprache wieder. »Da schau dir Herrn Dornberg an!« Vertraulich wandte sie sich an Lukas: »Er soll nicht mehr so viel rauchen, sagt der Arzt.«
»Erst die zweite heut«, verteichgte sich Vater Zierholt. Lukas nutzte das Zeremoniell des Abschneidens und Anzündens zur Überleitung in scheinbar gemütvolles Erinnern.
»Wir wären tatsächlich ein Paar, Renate und ich. Haben Sie das gewußt?«
Frau Zierholt nickte innig.
»Eine Mutter fühlt das.«
»Dann hätten Sie von Rechts wegen auch das unterbinden müssen! Es gibt da sehr unangenehme Paragraphen.« Und mit einem Lächeln hängte er noch ein verschmitztes >Gell?< hintendran, worauf die Tasse abermals zurücksank.
»Herr Dornberg, jetzt bringen Sie mich aber richtig in Verlegenheit. Da ist nur mein gutes Herz dran schuld. Ich hätt’ Sie unserem Renatchen so gegönnt! Sie gehörten doch schon richtig zur Familie.«
»Moment!« Karl-Heinz Zierholt wartete, bis absolute Stille herrschte. »Moment«, wiederholte er und sah Lukas an. »Waren wir nicht überhaupt per Du?«
Umsonst gab er sich erinnerungsschwach. Zierholt schenkte schon nach. Und sie besiegelten den alten Bund mit Armagnac, und Frau Zierholt mit ihrem Getränk, das der Bauchspeicheldrüse nicht schadet, und mit einem mütterlichen Kuß, gleichsam gegen den bösen, übersehenen
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