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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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ein Fauxpas und sie ist in Wirklichkeit achtzig. Manche Stimmen haben die ewige Jugend.«
    Also Andrea. Zu dumm!
    Jetzt schickt Ingrid Abendroben auf den Steg, Galapellen, in denen sich stärkere Damen (die sie mit besonderer Vorliebe tragen) zu Litfaßsäulen runden, wie Hausfrauen in Wickelschürzen. Ingrid scheint Directrice zu sein; er hat sie nicht einmal gefragt. Wieder Posenwechsel bei Lilly. Zu langweilig ist das! Überhaupt findet er nichts mehr, was noch einen aparten Blickwinkel abgäbe. Übermorgen wird er auf jeden Fall abreisen. Endlich wieder Ruhe und die gewohnte Ordnung. Es wird allerhöchste Zeit. Da winkt Ingrid herüber, ja, sie meint ihn, spricht Zeichensprache, will ihn offenbar noch sehen, nachher. Sagte sie das nicht? Was hat er eigentlich mit ihr geredet, vorhin in der Halle? Sie war so intensiv, wollte gleich alles wissen.
    »Wo wohnst du?«
    »In England.«
    »In England? Bist du noch in der Werbebranche tätig?«
    »Ungefähr.«
    »Verheiratet?«
    »Ja«, hat er gesagt. »Mit einer Engländerin?«
    »Schottin.«
    »Wie es scheint glücklich?«
    »Ausgesprochen«, hat er gesagt.
    »Kinder?«
    »Drei Buben«, hat er gelogen, weil er nicht dastehen wollte als Unglücklicher, den es zurückgetrieben hat zu seinem Ausgangspunkt. »Drei Buben«, hat sie gesagt. »Das ist wahrlich eine Leistung!«
    Das konnte er nicht finden. Nicht einmal theoretisch.
    »Du als Tochtervater wär auch undenkbar«, fand sie. »Bist sicher sehr stolz?«
    »Selbstverständlich«, hat er genickt.
    »Du hast doch sicher Bilder dabei. Laß sehen!«
    »Ich hab sie nicht dabei«, hat er gesagt. Und sich sagen lassen, daß sie das nicht von ihm gedacht hätte. Dafür mußte er sich ihre Geschichte anhören.
    »Ich bin nicht verheiratet, beziehungsweise mit meinem Beruf verheiratet. Auch sehr glücklich. Er füllt mich aus, vom Künstlerischen wie vom Ästhetischen her. Du kennst das ja bei mir! Ich brauche einfach den Umgang mit schönen Dingen...«
    Er dachte an seinen Barockschreibtisch, sagte aber nichts, ließ sie weiterreden, was gar nicht zu verhindern war. Sie hatte viel zu sagen, zuviel für die Zufriedenheit, die sie damit ausdrücken wollte, und hat dazu mit ihrem Schmuck gerasselt und geraucht und konnte nicht eine Sekunde stillstehen.
    Schon wieder eine Frau, die hart arbeitet! Eine besonders fremde Frau, hat er gedacht und schließlich, damit sie nicht weiterredet, gesagt, das klinge alles sehr zufriedenstellend. Denn nebenher hat sie noch mit Wesen aus ihrer Branche geredet, angeordnet, begrüßt, Scherzchen gemacht, Schätzchen gesagt und zauberhaft, Küßchen Ciao und ihn — ja, so war’s — zum Cocktail eingeladen, mit all den wahnsinnig netten Leutchen, nach der Schau im grünen Salon.
    Zu dumm! Er sei schon bei einem Cocktail mit Geschäftsleuten, hat er unwahrheitsgemäß gesagt, sich entschuldigt: Er habe noch ein Telefongespräch zu führen, um nicht wieder von früher reden zu müssen, wie schon es doch war und wie glücklich man war. Sie ist ihm ohnehin nicht geheuer, seine Vergangenheit, die sich öffnet wie zwei Schenkel.
    Bevor die Brautkleider kamen, diese Schonbezüge für Probleme, ist er gegangen, hat von der Telefonzentrale bei Andrea angerufen. Aber sie war nicht zu Hause und er hat sich Sorgen gemacht und Vorwürfe, hat sie wieder verworfen und sich gesagt: Sie ist selber schuld! Ich hab das alles nicht gewollt.
    Er ist in sein Zimmer hinaufgefahren, hat sich umgezogen, nicht dunkel, nur dunkler, hat im Blumengeschäft neben dem Hotel Jahreszeitwidriges am Stiel gekauft, ist noch einmal zurückgegangen, hat noch einmal bei Andrea angerufen, wieder vergeblich. Dann war es Zeit, sich zu Daniela bringen zu lassen.
    Der Fahrer, ein älterer Mann mit großen Ohren und kleinen Händen, schweigt nicht lang.
    »Eine schöne Stadt.«
    »Eine schöne Stadt«, bestätigt der Fahrgast.
    »Nur zu groß. Früher, vor dem Krieg, war sie grade richtig.«
    Vor Jahren habe er hier gewohnt, sagt der Fahrgast. Er sei jetzt aber schon lange weg.
    »Ich bin hier geboren. Und war auch lang weg«, sagt der Fahrer. Es klingt wie eine Einleitung. Gleich wird er zur Politik übergehen, vielleicht dieselben Ansichten äußern, mit denen manche seiner Kollegen die Fremden beunruhigen. Da der Fahrgast schweigt, wird er gefragt:
    »Wo leben Sie, wenn man fragen darf?«
    Er erfährt es und nickt.
    »Ein demokratisches Land. Hier geht’s auch recht ordentlich voran. Aber wir müssen noch viel lernen.«
    Sein

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