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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Renate eingeladen, die sie nicht kannte — also ihm zuliebe. Das setzt Zuneigung voraus und stillt die Neugier, die wiederum Zuneigung beweist, und hält ihn damit gleichzeitig auf Distanz. Sehr diplomatisch, sehr weiblich.
    »Das ist von Peter!« hat Daniela gesagt und auf ein Ölbild gedeutet. Etwas verworren, nicht nur in den Farben. Lukas und Renate nicken stumm, mit höflicher Bewunderung im Blick, und folgen ihr ins Arbeitszimmer. Hier ist alles hell und zweckmäßig. Tiefe weiße Bücherregale, der Inhalt nicht als Bibliothek geordnet, eher Ablage im Gebrauch. Bücher stehend, liegend, aufgeschlagen oder mit Merkzeichen versehen, dazwischen Zeitungen, Stapel von Broschüren, alles durcheinander. Ein großer Schreibtisch mit ähnlich chaotischer Privatordnung, ein lederner Drehsessel, mehrere bewegliche Lampen, Telefon, Schreibmaschine, Diktiergerät, Kopiergerät und an den Wänden Daniela, Daniela, Daniela, Wahlplakatauswahl: eine Vereinigung aller ärgerlichen Retouchen. Sie sieht seinen Blick und mildert.
    »Es ist sonst nicht meine Art, mich selber aufzuhängen. War nur zum Aussuchen. Sowie ich Zeit dazu habe, kommen sie wieder runter.«
    »Ist es Absicht, daß du in natura hübscher bist?« fragt er.
    »Sicher nicht«, sagt sie. »Aber es ist mir lieber als umgekehrt.«
    Renate lächelt; sie gehen ins Schlafzimmer, das in Grau und Blau gehalten ist und von einem breiten Messingbett beherrscht wird. Während Lukas den aufgeschraubten Knopf auf einem der Pfosten festdreht (er wackelte, als er die Hand drauf legte), sind die beiden ins Gespräch gekommen. Mit ein paar Sätzen hat sich Daniela ein Bild von Renate verschafft: was sie denkt, was sie interessiert und was nicht. Auch Lukas erfährt dabei Neues. Zum Beispiel, daß Renate die Politik nur in Schlagzeilen verfolgt. Über vieles haben sie nicht geredet, als er bei ihr war.
    Daniela ist schon weiter. Sie hält eine private Wahlrede. Eindringlich erklärt sie Renate, wie interessant die Zeit und wie wichtig Veränderungen seien, zu wichtig, um links liegengelassen zu werden. Wer mit Immobilien handele, müsse wissen, wie wir morgen wohnen werden, unter welchen Umständen und zu welchen Bedingungen; und wer Kinder habe, für den sei das Thema Schulreform einfach Pflichtfach.
    Renate ist fasziniert und Lukas nicht minder. Er hat Daniela unterschätzt. Was er bei ihren Ansprachen bisher vermißte, auch im Lehrerseminar, jetzt hat sie es, dieses Agens, diese Überzeugungskraft, die den Politiker kennzeichnet. Sie sind inzwischen im Bad, das geräumig und teuer gekachelt ist, wo es aber bis auf einen heizbaren Handtuchhalter nichts Erwähnenswertes zu sehen gibt.
    Renate sieht auch nichts mehr, und Daniela mag nichts mehr zeigen. Sie sind hinausgewachsen über den bürgerlichen Pferch, der einmal das Reich der Frau ausmachte. Renate hat angebissen, begreift, daß man mehr sehen kann, als sie bisher sah, und daß es sich lohnt. Ihre Fragen sind präzis, Danielas Antworten knapp und klar. Lukas kommt sich vor wie ein Gast, der zum ersten Mal gebeten wurde und noch keinen Kontakt gefunden hat. Er steht dabei, sieht sich mehr um, als sein Interesse erfordert, geht allein weiter in die Küche, wo die Tanfani-Mannschaft zusammenpackt. Ines ist da, hilft den Leuten, sagt »Na du?«, Lukas nickt vor sich hin, geht noch einmal ins Arbeitszimmer, noch einmal ins Schlafzimmer, entdeckt eine nicht gezeigte Kammer voll Haushaltsgerätschaft, kommt wieder ins Bad und wird überhaupt nicht bemerkt.
    Doch.
    Renate schaut herüber, spendiert ihm ein Lächeln, während Daniela sie eindeckt mit Reformen wie unsere Großmütter einander eindeckten mit Kochrezepten. Er kann nur noch den Kopf darüber schütteln, was sie alles weiß und wovon er keine Ahnung hat. Mit jedem Satz fühlt er sich rückständiger, verlorener, bis er sich schließlich vorkommt wie ein greiser Knusperonkel im Tudorhäuschen in Suffolk.
    Noch vor zehn Jahren hätten die beiden versucht, mich, den Mann, auf sich aufmerksam zu machen, ins Gespräch zu ziehen, wären mir um den Bart gegangen, hätten mir zum Mund geredet, damit ich Gefallen an ihnen finde. Aber nicht mehr beachtet zu werden — das ist eine neue Rolle für den Mann: galoppierende Emanzipation. Wir werden umlernen müssen! Noch lernt er nicht um: Er will nicht stören, geht in den Wohnraum zurück, wo Hubert und die beiden Wolfgänge sich in ein Thema verbissen haben, ganz wie in alten Zeiten. Er will nicht stören, geht wieder ins Bad

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