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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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er Renate angerufen. Sie war nicht da. Als er aus der Kabine trat, sah er sich einer Extravaganz gegenüber, die stutzte und seinen Namen sagte, seinen Vornamen. Darauf stutzte auch er, doch bei ihm dauerte es länger. Erkennende setzen beim andern immer gleiche Reaktionszeit voraus und das war bei ihrer Verwandlung wirklich zuviel verlangt. Dieses Lidschattengewächs hatte mit der Ingrid seiner Erinnerung noch weniger zu tun als der Pauli von heute mit dem von gestern. Auch bei ihr kam immer Rauch, wenn sie sprach, nervös, mit viel tieferer Stimme, jedes Wort von Schmuckgerassel begleitet. Ende Dreißig mußte sie sein, vertrug aber Mitte Vierzig. Das Modeleben ist hart. Nicht einmal für einen Mann hatte es gereicht; die Herren in der Branche sind großenteils männlich orientiert; man kann sie verstehen. Und wer von außerhalb erträgt so viel Künstlichkeit? Jetzt raucht sie wieder, drüben an der Tür, schickt den nächsten Paradiesvogel auf den Steg. Worüber haben sie eigentlich gesprochen, Vorhin, bevor er sich reinsetzte? Auf ihren Wunsch, weil sie sich so über das unerwartete Wiedersehen gefreut hatte, direkt herzlich für ihre hochstilisierten Verhältnisse, und weil er sich kannte: Motive ließ er sich nicht entgehen.
    Die Paradiesvögel gehen mit Rücklage, als hätten sie in der Mannequinschule gelernt, mit dem Schambein Kinderwagen zu schieben. Da dreht Lilly den Kopf, wechselt von einer damenhaften Pose zur anderen, von Lukas hinter vorgehaltener Getränkekarte beobachtet, er möchte kein Erkennen, keine wie auch immer gearteten Folgen von Haltung. Sein Interesse, sie zu beobachten, wird dadurch nicht gemindert. Schön ist sie ja und einfach klassisch programmiert. Jetzt greift sie zum Glas, trinkt auch dieses à la maison-Zeug, nein, sie hält es nur hoch, schaut über den Rand; trinkt aber nicht. Sie flirtet! Die vollendete Dame flirtet mit einem Mann, mit einem Herrn natürlich, zwei Tische weiter, Henkell-Trocken-Typ. Aber sie kann es nicht, der Blick, den sie bei ihm grasen läßt, ist völlig unperfekt, altmodisch.
    Sie tut ihm leid.
    Auf dem Steg führt ein Paradiesvogel etwas Langbeiniges vor, barfuß, bleibt hinter Lilly stehen, die unmittelbar am Steg sitzt und Lukas ihr Profil zeigt. Es ist nicht mehr das schöne Profil. Ihr Kopf und der Fuß des Paradiesvogels verschmelzen durch dieselbe Hautfarbe zu einer Einheit: Lilly hat eine langgezogene Himmelfahrtsnase, die vorne rot ist. Eine Rosette an der Seitenverkleidung des Laufstegs, genau in Mundhöhe, gibt ihr zudem eine flapsig überhängende Oberlippe. Der Paradiesvogel bekommt Beifall und bleibt, läßt Lilly die Nase, dreht sich dann um, damit auch die Klatscher hinter sich an ihrer Vorderseite freuen können. Neue Verschmelzung. Die Ferse des Mädchens macht Lillys Profil noch grotesker: Mit Knollennase wird die damenhafte Haltung zu ihrer eigenen Parodie. Da winkt Ingrid ihren Paradiesvogel zurück. Lilly ist wieder nur schön.
    Am anderen Ende des Saals tut sich was. Es sieht nach Demonstration aus, nach Studenten, die ein Transparent hereintragen.
    Seit wann ist Haute Couture politisches Vehikel?
    Doch da taucht ein olivhäutiges Gesicht hinter der Stange auf, die unvermeidliche Monstranz der Telefonzentrale. Zuerst werden die teuren Platze bedient; Lilly stutzt einen Augenblick, setzt sich anders, führt dem Henkell-Trocken-Mann neue Haltungen vor, ohne ihn anzusehen. So macht man das als Dame.
    Kleines Glockenspiel in die Modemusik, gewohnheitsmäßig schaut er auf, entziffert die Kreideschrift auf der schwarzen Tafel: Telefon für Herrn Vorberg.
    Automatisch steht Lukas auf. Abgewandt, wie er geht, mit dem Hinterkopf zum Laufsteg, muß Lilly ihn nicht unbedingt erkennen. noch jemand ist aufgestanden, biegt neben ihm in den Gang zur Halle ein, bleibt auf gleicher Hohe und fragt: »Sind Sie auch Herr Vorberg?«
    Lukas bleibt stehen.
    »Ich glaube nicht so sehr wie Sie.«
    Er kehrt um. Lilly sieht ihn nicht, sie interessiert sich gerade für ein Paradiesvogelgefieder, zu dem man die Weltsprache sprechen müßte, um es zu beschreiben. Sahara mit Aubergine und so weiter. Mode hat ihn noch nie sonderlich interessiert. Er sitzt schon wieder. Da dreht sich Lilly um und hatte ihn unweigerlich entdeckt, wäre nicht gerade der andere Herr Vorberg dazwischengetreten und vor ihm stehengeblieben.
    »Das Gespräch war wohl doch für Sie. Der Stimme nach eine reizende junge Dame. Ich sagte ihr das, da hat sie eingehängt. Vielleicht war’s

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