Erknntnisse eines etablierten Herrn
maßvoller Ton überrascht; der Fahrgast beginnt sich zu interessieren.
»Wie meinen Sie das?«
»Drüben nimmt man alles sportlicher, hab ich den Eindruck. Wenn unsere Linken nur ein bißchen geschickter wären! Sie züchten Reaktionäre. Ich seh’s an meinen Kollegen, an sehr vielen. Auch jüngeren. Leider.«
»Davon hab ich einige Kostproben bekommen«, bestätigt der Fahrgast. »Leider.«
Eine kleine Hand hebt sich vom Lenkrad.
»Ich denke immer: Was macht das für einen Eindruck im Ausland! Man weiß doch nicht, wen man fährt.«
Lukas nickt nur, will mehr hören. Längst ist ihm die Information wichtiger als der Transport. Er merkt, wie er von der Seite angesehen wird, und noch einmal. Langsam spricht der Fahrer weiter.
»Ich bin Jude, müssen Sie wissen.«
»Ja und?« hat er geantwortet und bemerkt, daß ihn der Fahrer wieder von der Seite anschaut, mit einem Lächeln.
»Aber für meine Kollegen bin ich ein alter Nazi.«
Unmöglich — ist die erste Reaktion. Wie will er das machen? Dazu gehört Schulung, Wissen um Organisation, Personen, Umstände.
Auf Lukas’ Fragen lächelt der Fahrer wieder.
»Lieber Herr, ich war im KZ. In unerfreulichem, aber doch engem Kontakt mit unseren Edelgermanen.«
»Da müssen Sie doch Wiedergutmachung bekommen haben?«
Hin und her wiegt der Fahrer den Kopf.
»Ich hab eine bekommen, und eine Frau hat sie mitgenommen.«
Sie sind am Ziel, aber der Fahrgast steigt nicht aus, will Einzelheiten wissen:
»Wie sieht das aus in der Praxis, Sie als Nazi?«
»Es ist relativ einfach.« Der Fahrer hat den Motor abgestellt, freut sich, mit jemand darüber sprechen zu können. »Sehen Sie, lieber Herr, an sich heiße ich Cohn. Und wie ein richtiger Cohn damals getauft worden ist — Siegfried. Nach meiner Befreiung hab ich den Namen wohlweislicherweise, sagen wir: modifizieren lassen. Ich heiße jetzt Kühn. Da klingt noch ein wenig Cohn durch — für mich jedenfalls — , und weil’s andererseits so kühn klingt, auch ein wenig vom Siegfried. So bin ich der ehemalige SS-Untersturmführer Uwe Kühn von der Lagerleitung. Den hat’s gegeben! Ich hab ihn sehr gut kennenlernen müssen.«
»Ist das nicht etwas zu kühn?«
Der Fahrer schüttelt den Kopf, lächelt vor sich hin.
»Es ist nicht aus falscher Anhänglichkeit, ich verspreche Ihnen.«
Die Frage, ob es denn schon wieder so weit sei, wartet er nicht ab. »Ich bin etwas schreckhaft, lieber Herr. Einmal im Leben — das reicht.«
Das versteht Lukas. Aber eines versteht er nicht:
»Warum bleiben Sie dann hier?«
»Wo soll ich hin? Israel ist mir zu modern. Ich bin ein alter, sentimentaler Jud, ich häng an der Stadt.«
»Das ist alles recht und gut, aber müssen Sie ausgerechnet in dieser Rolle leben?«
Eine kleine Hand stellt sich auf, in Ansagepose.
»Es ist mir sicherer so. Ich könnt einen anderen Job anfangen, als Cohn. Und dann? Bekenntnis setzt Toleranz voraus.«
»Sie haben den Schutz des Grundgesetzes!« behauptet Lukas, um zu erfahren, ob das stimmt. Nachdenkliches Kopfnicken.
»Ich bin, wie gesagt, etwas schreckhaft. Als Siegfried Cohn müßt ich immer noch ein wenig zittern und das Gras wachsen hören, als Untersturmführer Kühn krieg’ ich rechtzeitig Meldung.«
Lukas zögert nicht:
»Entschuldigen Sie, das hört sich an wie zu gut erfunden.«
Auch der Fahrer zögert nicht.
»Natürlich ist es ein Scherz. Ein trauriger, denn so ist es. Ich erzähl’ ihn gern. Dann weiß ich, wen ich gefahren hab.«
Lukas hat einen Fehler begangen: Er hat sich der Vorfreude schuldig gemacht, der Vorfreude auf Daniela, auf den Abend mit ihr, bei ihr, zum Essen, zum Gespräch, ohne Trubel, ohne Pflichten, genüßlich mit Ruhe und Zeit füreinander. Darauf hat er sich gefreut. auch Daniela hat sich der Vorfreude schuldig gemacht. Sie wollte ihm etwas Besonderes bieten. Dafür hat sie Zeit und Geld investiert, eigens ihr Programm umgestellt (was sehr schwierig war und zusätzliche Anstrengung bedeutete). Erst vor einer Stunde ist sie nach Hause gekommen, hatte keine Minute Zeit, sich auszuruhen, der Küchenwagen des Partyausrichters Tanfani wartete bereits vor der Tür. Entgegen ihrer ursprünglichen Absicht, selbst zu kochen, hatte sie ihn vorsorglich bestellt. Sie wußte, daß es zu spät werden würde. Als die Leute eingewiesen waren, blieb ihr grade noch Zeit, sich umzuziehen, dann kamen schon die ersten Gäste.
Lukas hatte sie auf einen späteren Zeitpunkt gebeten. Wenn er kam, sollte er die alten
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