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Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Karillon
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Nachts in meine Stube hereingefallen, wenn ich meine Tür nicht rasch vor der Katastrophe noch verriegelt hätte.
    Am Montag zog ich aus, und zwar zu einer Witwe Klein, die in der Langgasse Nr. 34 ein Spezereilädchen betrieb. Von jetzt ab hatte ich mit meinem Mitschüler Hülfenhaus den gleichen Schulweg und die gleiche Ausrede, wenn ich zu spät in die Klasse kam. »Es hat ein Möbelwagen in der Langgasse gestanden,« die Bemerkung genügte bei der Enge des Sträßchens vollkommen, um einen Eintrag ins Klassenbuch zu vermeiden.
    Ach, Hülfenhaus und das Schulbanksitzen! Der Bursche hatte den siebziger Feldzug mitgemacht, war ein Riese von Gestalt und hatte mehr Haare am Kinn als unsere Kuh am Schwanz und die ganze übrige Klasseim Gesicht. Spät hatte er sich zum Studium entschlossen und mit dem Aussehen eines Geheimrates trug er nun mit einem Bündel blauer Hefte zusammengewurstelt den Horaz in den Schulsaal der Prima hinein. Was Wunder, daß wir uns über ihn lustig machten und uns doch wie Kinder von ihm führen ließen, ins Gesellenhaus zum Mittagsmahle und zum Vieruhressen nach seiner Bude auf der mittleren Bleiche. In ihr war der Singularis durch ein Bett, der Dualis durch zwei Stühle und der Pluralis durch ein halbes Dutzend Tabakspfeifen vertreten, die am Fensterkreuz und an der Wand hingen. In diesem Räume, den ein eisernes Säulenöfchen mit behaglicher Wärme füllte, machten wir nach dem Grundsatz einer vernünftigen Arbeitsteilung unsere Schulaufgaben. Einer vom Stamme Juda löste die Zinseszinsaufgaben, ein Pfarrerssohn übersetzte den Sophokles, andere schrieben ab, und zuletzt machten wir uns über die Wurstscheiben her, die der Schermuly, weniger vom Standesdünkel angekränkelt als wir anderen, in den Metzgerläden zusammengekauft hatte.
    Daß ich es nur gestehe, nicht immer saßen wir auf des Mitschülers kleiner Stube. Auf der großen Bleiche war eine Bierwirtschaft, »zum Kleeblatt« benannt. In dieses Himmelreich hinein führte, einzig dem Herrgott und dem Hülfenhaus bekannt, von der mittleren Bleiche aus ein enger Gang nach einer Nebenstube. Dort saßen wir zuweilen vom Auge des Zapfwirtes verständnisvoll gehütet, tranken zu Schweinsrippchen das schäumende Aktienbier und bereiteten uns zum Besuche der Universitätvor, indem wir abwechselnd versuchten, aus unseres Seniors Pfeifen zu rauchen. So ging der Winter herum und die Osterferien lösten für drei Wochen unsere Tafelrunde auf.
    Als ich nach dem weißen Sonntag wiederkam, war Frau Klein nach einem anderen Hause in der Langgasse Nr. 19 gezogen. Ich rückte ihr nach und sie hatte ja auch wieder ein Zimmerchen für mich. Es war nicht größer als ein Taubenschlag. Trotzdem gedachte ich in ihm auszuhalten, und ich hätte es gewiß auch getan, wenn die Nachbarschaft nicht gewesen wäre. Aber allmächtiger Himmel, mir gerade gegenüber in dem engen Hinterhofe war eine Nähstube. Wenn ich aus meinem Buche die Augen erhob, hatte ich mehr Jungfern vor mir als die heilige Ursula, da sie mit ihrem Schiffe abgefahren war, um das Grab des Erlösers zu befreien. Und dann das Geschnatter. Nein, das war keine Umgebung für einen, der die Regierungszeiten der deutschen Kaiser noch nicht im Kopfe hatte und doch Maturitas machen wollte! Leider zeigte Frau Klein für meine Ausstellungen an ihrem Logis kein Verständnis und wir sind im Streit auseinandergekommen.
    Der Stefanskirche gegenüber verwohnte ich die letzten Monate meiner Gymnasialzeit. Sie war ausgefüllt mit dem Wirrwarr eines zusammenbrechenden Systems. Das Preußentum war mit einem kalten Bureaukratismus nach dem Süden vorgestoßen. Der gewiegte Schulmann Bone war durch einen rotbärtigen Unteroffizier Professor Beck ersetzt, die Jesuiten vertrieben, der Geschmack verändert.Ich, der Preisträger im Deutschen, schrieb einen der schlechtesten Aufsätze im Maturitätsexamen, hatte aber bestanden und verließ fröhlichen Herzens als Mulus im August 1873 die Bischofsstadt.
    Zu Hause wurde ich von meiner Stiefmutter mit fragenden Blicken wie der Steuerbote empfangen, von meinem Vater mit offenen Armen und von einem Dritten Menschenkind, ich weiß nicht wie mit lachenden Augen, die sich doch vor mir zu fürchten schienen.
    Daß ich's nur eingestehe. Von meinem zehnten Jahre ab war ich in eine Schulkameradin bis über die Ohren verliebt. Das Mädchen war mir in gar nichts entgegengekommen, so wenig wie ich gewagt hätte, mich ihr zu nahen. Aber es war in der Schule so üblich, daß jeder

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