Erlebnisse eines Erdenbummlers
doch nun den Zwicker auf, schaute hin und sagte: »Aber Knodt, was ist los in eurem Hause? Ich kann nur hoffen, daß eure Enten prämiiert worden sind.«
Nun lachte aber das große Kind überlaut auf. »Na, was der Karrillon für Einfälle hat! Sieht er nicht einmal, daß man in mir den Dichter ehren will. Gewiß, ich bin ihm eine Aufklärung schuldig. Wie kann er sonst wissen, daß sogar der Gemeinderat von Oberklingen hier war. Staunen Sie nur, Karrillon, er hat mit uns Kaffeegetrunken, und vieles haben wir miteinander geschwätzt. Zuletzt habe ich die Herren an die Bahn begleitet. Sie steigen ein und als eben der Zug abfahren will, reicht mir der Bürgermeister ein Schriftstück aus dem Fenster, indem er sagt: ›Da hätten wir beinahe die Hauptsache vergessen.‹
Der Zug rast weiter. Ich öffne das Schreiben und was war's? Die Ehrenbürgerurkunde der Gemeinde Oberklingen.«
»Nun denn meinen Glückwunsch, Waldpfarrer,« sagte ich, »und wenn ich einmal der deutsche Kaiser werde, sollen Sie von mir den schwarzen Adler haben.«
Dann setzten wir uns zusammen an den Tisch, denn aus uns war indessen eine große Gesellschaft geworden. Damen waren mit Blumensträußen gekommen. Andere hatten Notenblätter mitgebracht. Es wurde gesungen, geschwatzt, gelacht, und als es Nacht geworden war, mußte ich fort, ohne mit Knodt nur ein einziges Wörtchen von dem gesprochen zu haben, was mir auf dem Herzen lastete.
Eine seltsame Sache bewegte mich dazumalen, über die ich gerne mit einem teilnehmenden, einsichtsvollen Menschen geredet hätte. Den hatte ich an Knodt, und da ich heute an sein Herz nicht herankommen konnte, so scheute ich den Weg nicht und kam nach einigen Tagen wieder, wo ich ihn ausnahmsweise einmal antraf, ohne daß Besuch im Hause gewesen wäre.
»Waldpfarrer,« sagte ich zu ihm, »was halten Sie von der folgenden Beobachtung: Als ich noch ein Anfängerin der ärztlichen Praxis war, erlebte ich es des öfteren, daß es mir in der Nacht träumte, ich wäre zu einer Wöchnerin gerufen. Nicht immer, aber doch ab und zu kam es vor, daß das betreffende Weib in seiner ganzen Figur vor meinem Geiste stand und als eine Bekannte von mir zu rekognoszieren war. Gewöhnlich blieb es nicht beim Traum, sondern ich wurde wach und zündete Licht an, um mich ganz in die reale Wirklichkeit zu versetzen. Meine Frau kennt diesen Zustand und sagt dann gewöhnlich zu mir: ›Kannst du wieder nicht schlafen?«
»›Nein,‹ sag' ich, ›paß auf, gleich wird die Nachtglocke gezogen werden‹.
»Wir warten nun beide, und es dauert nicht lange und von der Straße her vernimmt man den Laut eiliger Tritte oder auch das hastige Schlagen eines Fuhrwerks.
»›Hör' nur,‹ flüstert eins dem andern zu, ›gleich wird die Schelle tönen.‹
»Und sie tönt wirklich, schrillt durch den Hausgang hin und weckt die Magd und die Kinder. Indessen bin ich schon am Fenster. Kaum daß der Riegel knarrt und die Scheibe klirrt, ruft es schon von der Straße herauf: ›Die Ammbase schickt mich, Doktor. Nehmt das Geschirr mit Euch, Ihr müßt zu einer Wöchnerin.‹ Was sagen Sie zu der Beobachtung, Pfarrer?«
»Da haben wir's, mein lieber Freund. Auch wenn ihr sie mit euern Messern nicht im Menschenkörper aufstöbern könnt – es gibt eben doch eine Seele – und es gibt deren viele, und eine strebt der andern zu, wennsie in Not ist. Oder wüßten Sie eine andere Erklärung?«
»Das schon, nur schwebt sie nicht so im Transzendentalen wie Ihre Seelen. Ich nehme an, ein menschliches Gehirn besitzt in Momenten starker Ganglientätigkeit die Kraft, elektrische Wellen zu erregen, und die laufen in radialer Richtung fort allenthalben in die Unendlichkeit, genau so, wie in der drahtlosen Telegraphie, und gehen verloren, wenn sie nicht auf eine Antenne treffen, die auf ihren Anruf abgestimmt ist. Beachten Sie meine weiteren Ausführungen, denn es liegt mir viel daran, daß Sie meinen jetzigen Seelenzustand richtig erkennen. Ich nehme also an, daß in früheren Jahren, wo ich mich in der Geburtshilfe noch nicht als Meister fühlte, meine Nervenendigungen noch empfindsamere Antennen waren als heutzutage, wo mich keine Komplikation am Kreisbett mehr überraschen kann. Anders ausgedrückt: Ich bin hartschlägiger geworden seit einigen Jahren schon und schlafe infolgedessen besser, als früher. Und dennoch, denken Sie nur, ist mir vor einiger Zeit eine Geschichte passiert, die mich um den Verstand, wenn nicht gar ums Leben bringen wird. Hören Sie
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