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Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Karillon
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Ich machte mich fort von der Statte des Grauens und schritt auf meine Wohnung zu.
    Als ich auf der Brücke über den Bach ging, dacht' ich bei mir: »Da drunten wird der Bäcker im Wasser liegen, aber an welcher Stelle wohl?«
    Knodt hatte mit gesenkten Augenlidern, die Hand in seinen Bart vergrabend, zugehört.
    »Und hat der Ärmste endlich noch gefunden, was er suchte? O, es muß schrecklich sein das Sterbenwollen und Nichtsterbenkönnen,« bemerkte er mit frommem Seufzen.
    »Ja, er fand das Ende. Zum mindesten ist die Sonne über seinen Schmerzen nicht mehr aufgegangen. Aber auf die meinen scheint sie nun Tag für Tag. Denken Sie nur, Pfarrer, ich kann seit diesem Erlebnis keine Ruhe mehr finden. Wenn ich einen vom Gericht sehe, dann packt mich eine Wut gegen diese Söldlinge der Paragraphengerechtigkeit, daß ich einem jeden von ihnen an die Kehle fahren möchte, und sehe ich niemand um mich, dann steht der Bäcker vor mir mit der durchschnittenen Luftröhre. Er drängt sich in alle meine Träume und macht mir mein Bett zu einer Folterbank. Mit Angst im Herzen betrete ich am Abend meine Kammer, und wenn ich sie am Morgen verlasse, steht der Schweiß auf meiner Stirne.«
    »Und dann über Tags! Das Wasser im Bach, das Haus, in dem der Tote wohnte, jeder Holzschuh, den ich sehe, alles, rein alles erinnert mich an den Unglücklichen. Was fang ich an, was mach ich nur, daß ich die Halluzination, die schreckliche Halluzination aus meinen Vorstellungen banne?«
    Knodt sagte: »Beten Sie oder lernen Sie Klopstocks Messiade auswendig.«
    »Alles schon versucht« war meine Antwort, »sogar im Dante fand ich kein Vergessen.«
    »Dann nehmen Sie den Rucksack auf den Buckel und wandern Sie wieder einmal in die Welt hinein, wie Sie oft getan.«
    Diesen Rat hatte ich mir eigentlich schon selber gegeben, und nun, wo er mir von einer Seite kam, die ich sehr schätzte, zögerte ich nicht länger. Ich löste ein Billet nach der Schweiz und fuhr in der dritten Klasse eines Abends von Heidelberg ab.
    In meinem Abteil saß außer mir nur ein italienischer Arbeiter, der eine Spitzhacke über die Schulter lehnte und in lauernder Stellung da saß, so, als ob er sich bereithalten müsse, alle Augenblicke aus dem Zuge zu springen. Da eine Verständigung mit dem Manne nicht möglich war, so streckte ich mich aus auf meiner Bank, um zu schlafen. Und merkwürdig, es gelang. Vielleicht war es das Summen der Wagenräder, was den Schlaf brachte, vielleicht das Wiegen und Stoßen der Achsen, kurzum, was seit langem schon nicht mehr geschehen war, der Schlaf kam und er war tief und traumlos.
    Da aber wurde ich gleichwohl wach. Jemand hatte mich an der Schulter gepackt und schüttelte mich. Ich schlug die Augen auf und sah mit verängsteten Zügen den Italiener vor mir stehen mit der Spitzhacke über der Schulter.
    »Ba-asel, Signore?« flüsterte er mir zu.
    Ich warf einen Blick durch die Scheiben, winkte ab mit der Hand und sagte: »Karlsruhe.«
    Gleich darauf schlief ich wieder und träumte mir etwas zurecht von Gamsböcken und Geißbuben, als ich wieder geweckt wurde und die Worte hörte: »Ba-asel, Signore?«
    »Rastatt,« war meine Antwort, und ich träumte zu Gamsböcken und Geißbuben als Fortsetzung noch Schweizerkäs und eine Sennerin hinzu.
    Wieder ein Schütteln und abermals: »Ba-asel Signore?«
    »Offenburg,« schrie ich jetzt, und um mir meine Nachtruhe zu sichern, sprang ich auf und suchte dem Italiener am Zifferblatt meiner Uhr klar zu machen, daß wir Basel vor sechs Uhr des Morgens nicht erreichen würden. Gott sei Dank, er schien mich zu verstehen. Er lächelte holdselig und sagte: »Grazie, Signore.«
    Gut also, mit diesem Störenfried war ich fertig. Nun das Taschentuch unters Hinterhaupt, die Augen geschlossen und das Versäumte nachgeholt.
    Wahrhaftig ich schlief abermals ein. Der Bäcker kam nicht, und auch der Italiener schien für mich abgetan. Aber ich hatte mich getäuscht. Wo und wie oft der Zug auch halten mochte, immer stand der Steinbrecher mit seiner Spitzhacke vor mir und immer wieder hatte er die Frage auf den Lippen: »Ba-asel, Signore?«
    Nun färbte auf der Hohe von Freiburg der Tag die Scheibe schon etwas grau. Ich setzte mich auf undsuchte die Gegenstände zu erkennen, die draußen vor dem Zuge tanzten. Ein Mäher war's mit einer Sense über der Schulter; ein Weib mit einem Korbe auf dem Kopfe. Bald kamen breite Strohdächer in Sicht und spitze Kirchtürme, die den Frühnebel durchstachen. Eine

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