Erlebnisse eines Erdenbummlers
dem Dampfer »Sigurd Yarl«. Wette meinte, die Szene müsse als eine lustige Kapriole des Schicksals gedeutet werden, während Mendelssohn behauptete, er wisse eine bessere Erklärung für ein so auffallendes Zusammentreffen mit halbvergessenen Weggenossen und er fuhr fort: »Die Menschheit will mir manchmal wie eine Reissuppe erscheinen. Was vollwertige Körner sind, das liegt unten, und das einzelne Korn hat nur Kenntnis von seinem Nachbar rechts und Nachbar links. Oben aber auf der Suppe da schwimmen Hülsen und üble Blasen, die immer in Bewegung sind und die sich von Zeit zu Zeit begegnen und aneinander reiben müssen.«
»Wenn du den Arnold da für seinen Vergleich fordern willst, so werde ich dir sekundieren« sagte Hermann Wette und sah mich über den Rand seiner Brillengläser weg bedeutsam an.
»Ich denke, ich will ihn einstweilen leben lassen, wie du den Wasserkopf leben ließest, aber anstoßen wollen wir mal wieder miteinander.«
Wir taten es, und wahrhaftig, wir sollten's nicht oft mehr tun. Einmal war Wette noch bei mir in Weinheim, dann habe ich im Sommer 1919 in der Zeitung gelesen, daß der Krauskopf mit dem vierundsechzig Zentimeterschädel zu Heidelberg im Spital gestorben sei. Seine Gattin war ihm drei Jahre im Tode vorausgegangen.
»Wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder?«
chon saß ich wieder in Weinheim mit meinen Kranken herum und schrieb an einem neuen Roman, O domina mea zubenannt. Damals machte ich die Bekanntschaft von Karl Ernst Knodt, dem Dichter der himmelblauen Sehnsucht. Wie das kam, weiß ich nicht mehr so recht, ich nehme aber an, es geschah, weil unsere beiden Frauen alte Bekannte waren und gemeinsam vor Jahren in einem Darmstädter Pensionat ihre Erziehung genossen. Knodt, nach seinem früheren Wohnsitz Oberklingen der Waldpfarrer genannt, hatte sein Amt niedergelegt, um ausschließlich seiner frommen Muse zu Gefallen leben zu können. Der Architekt Metzendorf hatte ihm zu Bensheimein kleines Tuskulum erbaut. Die früheren Schulkameradinnen waren wieder füreinander erreichbar, und so mag es gekommen sein, daß auch Knodt und ich einander kennen lernten.
Der Waldpfarrer war ein großes Kind und sein Haus die reine Herberge zur Gerechtigkeit, obwohl außer mir auch andere Sünder da ein- und ausgingen. Es verkehrten da gelegentlich Liliencron, Hermann Hesse, Schönaich-Carolath, Gustav Falke, Gotthardo Segantini und so weiter. In den literarischen Kränzchen, die mit einiger Regelmäßigkeit im nahen Auerbach stattfanden, konnte man dann allerlei Lokalgrößen kennen lernen, wie Helene Christaller, Daniel Greiner, Frau Gottfried Schwab und so weiter, und so weiter. Mein ärztlicher Beruf ließ mich nicht allzuoft zu diesen literarischen Kuchenessen kommen. Auch war mir der Waldpfarrer lieber, wenn ich ihn ohne die Verzierung von Pimpernell und Petersilie genießen konnte. Zumeist pflegte ich ihn dann erst aufzusuchen, wenn mir das Herz schwer war. Ich weiß nicht, wie es kam, aber in seiner Nähe hatte ich das Gefühl, daß es eine ausgleichende Gerechtigkeit gäbe, die auch mir eines Tages zu meinem Anteil von Glück verhelfen würde. Und doch wieder stach mich zuweilen ein innerer Kitzel, mich über den weltfremden Gottesmann ein wenig lustig zu machen. So hatte ich sein Haus das Kernerhaus zu Weinsberg getauft, seinen musikalischen Sohn Theodor den Hamlet und ihn den Franz von Assisi, obwohl ich ihn niemals in härenem Gewände traf, sondern immer nur in einer braunenSamtjacke, auf die sein weicher Vollbart niederfloß, als wolle er mit der goldenen Uhrkette spielen, die sich in der Nabelgegend quer über eine helle Weste legte. So traf ich ihn auch wieder einmal in seinem Dichterheim. Er schien besonders gut aufgelegt und sein freundliches Gesicht war noch verschönt durch den roten Schein, den einige Weinflaschen auf Bart und Haarwuchs streuten. »Geburtstag« predigten die Flaschen, und ein großer Rodonkuchen auf dem Tische stimmte ihnen bei. Gleichwohl stellte ich mich, als ob ich von dem Feste keine Ahnung hätte, das offenbar da gefeiert wurde, tat erstaunt über den Reichtum, den ich vor meinen Augen sah, und sagte: »Hallo, Kinder, erwartet ihr den Großherzog als euren Gast?«
»Käthchen, da hör' mal, was der Doktor sagt,« rief Knodt seiner Frau zu. »Denk nur, er hat keine Ahnung von dem, was heute bei uns vorgeht. Noch nicht einmal hat er gesehen, was hier an unserer Wand hängt.«
Obwohl ich da schon längst einen Lorbeerkranz beobachtet hatte, setzte ich
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