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Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Karillon
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dem Gefängnis heraus ist, war der Mann gebrochen.‹
    »Wir gingen oder vielmehr wir tappten mit unbeholfenen Schritten in eine pechschwarze Finsternis hinein. Ich kann mich nicht erinnern, eine zweite so dunkle Nacht erlebt zu haben. Das Hoftor des Bäckers tasteten wiruns aus der Mauer heraus. Im Hausgang drang eine kreischende Weiberstimme in mein Ohr. Die Frau des Bäckers war's. Sie tobte wie unsinnig und schlug die Hände überm Kopf zusammen.
    ›Ich kann's nicht sehen,‹ sagte der Asthmatiker noch, schob mich der Tür zu und war verschwunden. Es war dunkel um mich. Durchs Schlüsselloch aber stahl sich ein dünner Lichtstrahl. Ihm folgend öffnete ich die Tür und befand mich einer grauenvollen Szene gegenüber. Da stand der Bäcker im Scheine einer von der Decke niederpendelnden Petroleumlampe mit offener Brust.
    Ein Strom von Blut wälzte sich von seinem Halse hernieder und floß unter seinem Gürtel in die Hosen hinein. Seine blutige Rechte umfaßte den Griff eines elenden Küchenmessers, und kaum daß sein rollendes Augenpaar meiner ansichtig geworden war, so fing die stumpfe Kneipe von neuem an, in der gräßlichen Halswunde zu wühlen. Es war, als ob der Lebensmüde fürchtete, ich könne gekommen sein, um ihn noch einmal auf der Erde festzuhalten, deren Ungerechtigkeiten er sich ja eben entziehen wollte.
    »Merkwürdig doch, wie klar in diesem Augenblicke der Mediziner durch meine Augen sah. Das anatomische Bild des durchschnittenen Halses lag wie ein Präparat vor mir. Wie durch ein visionäres Schauen belehrt wußte ich, der Mann arbeitet mit einem stumpfen Instrument, aber unerhörter Energie. Es ist ihm gelungen, die Luftröhre zu durchschneiden. Dadurch hat er sich der Sprache beraubt, aber nicht des Lebens. Die großenHalsgefäße hat er nicht getroffen. Sie sind der schartigen Klinge ausgewichen. Wie könnte er sonst noch aufrecht vor mir stehn? ›Wer weiß,‹ so sagt' ich mir, ›vielleicht ist der Mann noch zu retten, wenn er mich an seine Wunde läßt.‹
    »›Man hat Euch unrecht getan, Bäcker, ich weiß das,‹ so redete ich ihm zu, ›gebt mir das Messer und ich will's probieren, ob ich Euch retten kann.‹
    »Mit drohender Abwehrbewegung schwang er gegen mich die Klinge und gleich darauf stak sie wieder in der Halswunde drinnen, einen erneuten Blutstrom über das Schlüsselbein pressend.
    »Ich sprang hinzu und versuchte es, den Arm des Lebensmüden festzuhalten. Mit Riesenkraft wurde ich zurückgeschleudert und fuhr wider die krachende Kammertür, in die Knie niedersinkend. Den Rasenden keine Sekunde aus dem Auge lassend, erhob ich mich wieder. Er hatte sich auf die Bank neben dem Tisch gesetzt. Das Messer auf das Knie gestützt, schien er nur die Kraft sammeln zu wollen zu einem neuen Angriff gegen sich selbst. Da plötzlich erhob er den Kopf. Das Geschrei seines Weibes war an sein Ohr gedrungen vom Hofe her. Auch die Stimme eines Nachbars war hörbar geworden.
    »Zwei Männer jetzt gegen ihn! Der Gedanke mußte den Unglücklichen erfaßt haben. Im Nu hatte er den Fensterladen aufgestoßen und war verschwunden in das Dunkel der unheimlichen Nacht hinein.
    »Ein Schrei meinerseits, und die Frau trat mit demNachbar zusammen ins Zimmer. Da standen wir nun und sahen einander an. Blutlachen warfen geisterhaft vom Boden herauf das Licht der flackernden Lampe zurück; wohin man trat, überall war Glätte und Blut.
    ›Ist er durchs Fenster?‹ fragte die Frau. ›Geht, lauft ihm nach, guter Nachbar, eh' er sich ins Wasser stürzt.‹
    ›Später will ich Euch den Gefallen tun. Jetzt kann ich nicht. Das Brot wird schwarz, was ich im Ofen habe.‹
    ›Später, ja später,‹ wiederholte die Frau, ›da wird das später ein zu spät sein.‹
    ›Um so besser für Euch! Was wollt Ihr mit einem Manne tun, der keine Gurgel mehr hat und im Zuchthaus saß?‹
    Da war es wieder das verdammte Brandmal, das die empörende Allmacht eines Staatsanwalts dem Untertanen auf die Stirne drücken kann, ohne daß er imstande ist, sich irgendwie dagegen zu schützen.
    »Im gleichen Moment fuhr ein Windstoß durchs Fenster und die Lampe erlosch. Dicht drängten wir drei uns aneinander und suchten die Tür nach dem Hofe zu gewinnen. Ich rief den Nachbar mit Namen. Er gab keine Antwort mehr. Das Weib aber schrie sinnlos wie ein Tier zum Himmel auf. Nein, ich konnte dies Getue nicht mehr hören. Es schien, als ob es eher den Schmerz verhöhnen solle, als ihm einen Ausdruck zu geben. Auf was wollte ich warten?

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