Erlebnisse eines Erdenbummlers
weiter, Knodt.
»Ich werde wieder einmal wach. Die Erinnerung an einen Traum habe ich nicht. Aber es quält mich eine innere Angst vor irgend etwas Schrecklichem, was mir bevorstehe. Ich will meine Frau nicht wecken und lausche mit angestrengtem Ohr auf die Straße hinaus. Aus der Ferne höre ich das Klappern von Holzschuhen. Es kommt näher. Man reißt an der Klingel. EineStimme ruft, bevor ich am Fenster bin: ›Kommen Sie so schnell wie möglich, der Mann, der bei uns wohnt, liegt am Ersticken!‹
»Na, ich auf und mit dem Boten fort. Der Patient, zu dem ich gerufen war, hatte einen Anfall von Herzasthma. Die Sache war nicht weiter schlimm. Ich schrieb ein Rezept auf, und der Bote, der mich gerufen hatte, klapperte sich damit nach der Apotheke in die Stadt hinein.
»Am nächsten Morgen erfahre ich, daß der Holzschuhmann verhaftet sei. Warum nur? Ich kannte ihn doch als einen braven, friedlichen Bäckermeister.
»Bald erreichte mich das Gerücht, er stehe im Verdacht, in der fraglichen Nacht eine Brandstiftung begangen zu haben. Man will gesehen haben, wie er vom Ort der Tat weggesprungen sei. Man will das Klappern seiner Holzschuhe gehört haben.
»›Dummes Zeug,‹ dacht' ich mir. ›So vernagelt kann nicht einmal das Kriminalgehirn eines Staatsanwalts sein, daß es annimmt, wer einen Brand legen will, zieht ausgerechnet gerade Holzschuhe an. Man wird dich als Zeugen vernehmen. Du erzählst, was sich in der Nacht zugetragen, und der Bäcker ist auf freiem Fuß.
»Nichts von alledem geschah. Hat die blinde Gerechtigkeit erst mal einen dingfest gemacht, dann nimmt sie sich Zeit. Vor allem sucht man zunächst nach Belastungsmaterial. Man erforscht des Delinquenten Abstammung, und wenn einer seiner Urgroßväter einmal Kohlenbrenner war, dann erscheint er schon als verdächtiger schwarzer Teufel.
»Indessen schickt man die Gendarmen aus und erkundigt sich, wo der Mann seine Streichhölzer kauft. Da haben wir ihn schon. Beim Krämer Hollerbock hat er vor acht Tagen ›Schweden‹ erstanden. Schon ist er beinahe überführt, denn am Tatort hat man sogar einen roten Streichholzrest entdeckt, der denen wie aus dem Gesicht geschnitten gleicht, die der Hollerbock zu verkaufen pflegt. Um ganz sicher zu gehen, fragt man noch bei seinen Lehrern herum, ob dem Inkriminierten eine solche Tat zuzutrauen sei, und erfährt, daß er als Ministrant einmal am Meßwein genascht habe.
»Auf dem Gerichtstisch wachsen die Aktenbündel turmhoch gegen die Decke. Die Schreiber bekommen den Krampf in die Finger. Da macht man eine Kunstpause, um nachzuprüfen, ob der Inhaftierte bei Wassersuppen für ein Geständnis seiner Tat reif geworden sei.
»Man sah in unserm Falle langsam ein, daß unser Hartgesottener mit dieser Methode nicht erweicht werden könne. Er war ruchlos genug, sich noch immer nicht zur Tat zu bekennen. Man mußte wohl oder übel, da sein Anwalt drängte, die von ihm bezeichneten Entlastungszeugen laden, und so bekamen der Asthmakranke und ich eine Vorladung. Noch einige Tage, um die schlimmen Folgen eines raschen Klimawechsels für den Gefangenen fürsorglich zu vermeiden, dann aber konnte der Angeschuldigte zu seinen Angehörigen zurückkehren.
»Er fand da manches verändert. Die guten Nachbarsleute erwiderten seinen Gruß nur noch so halb und halb, und, was schlimmer war, sie kauften ihr Brot beieinem andern Bäcker. In der Kirche wäre die Bank leer geblieben, in der er kniete, wenn sich nicht ein Blinder hineinverirrt hätte. Kurzum, der Mann war gezeichnet, weil er gesessen hatte. Schlimm das, sehr schlimm, allein doch nicht nur für den einen, den das Geschick getroffen hatte. Der trug es denn auch nicht leicht, und wem es gerade so ging, das war ich. Ich tat mein möglichstes, um den Bäcker an den Stammtischen zu verteidigen. Im Kasino bekam ich Streit mit allem, was nur in der Herberge zur Gerechtigkeit mit Aktenfaszikeln herumhantierte«
»Und Sie wurden womöglich eingesperrt,« sagte Knodt.
»So weit kam es nicht. Stellen Sie sich vor: Eines Nachts schellte es wieder. Diesmal stand nicht der Bäcker vorm Hause, sondern der Asthmatiker. ›Schnell, schnell,‹ rief er im Flüstertone zu mir herauf. ›Ich warte auf Sie. Hier vor der Haustür sollen Sie erfahren, was los ist.‹
»Ich beeilte mich nach Möglichkeit und erfuhr auf der Schwelle meines Hauses, daß der Bäcker sich den Hals durchgeschnitten habe, aber noch lebe. ›So weit mußte es kommen,‹ fügte der Bote hinzu. ›Seitdem er aus
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