Erlösung
gewesen, die schwitzenden Soldaten zu erschießen. Die lagen jetzt mit aufgeknöpften Hosen neben ihr und verschnauften.
Aber er war nicht für sie da gewesen, und er war es auch dann nicht, als sie aufsprang und das Maschinengewehr des schwarzen Mannes packte und eine lange Salve abschoss. Die Leiber der Männer zerrissen in der Salve, ein Inferno aus Schreien, warmem Blut, Staub und Pulverrauch füllte den Raum.
Ihr Freund war für sie da gewesen, als alles gut war. Als das Leben leicht und der Tag hell war. Aber er war nicht da, als sie die zerfetzten Leiber hinaus auf den Misthaufen schleppte und mit Palmwedeln bedeckte, auch nicht, als sie Blut und Fleischfetzen von den Wänden abwusch.
Unter anderem deshalb musste sie weg.
Das war der Tag, bevor sie sich zu Gott bekannte und ihre Schuld so tief bereute. Aber das Versprechen, das sie sich selbst an jenem Abend gab, als sie das Kleid abstreifte undverbrannte und sich im Schritt wusch, bis sie wund war, dieses Versprechen vergaß sie nie.
Sollte der Teufel ein zweites Mal ihren Weg kreuzen, dann würde sie die Sache selbst in die Hand nehmen.
Übertrat sie dabei Gottes Gebot, würde das eine Sache zwischen ihr und IHM sein.
Während Isabel das Gaspedal durchtrat und ihr Blick zwischen Straße, Navi und Rückspiegel hin- und herwanderte, schwitzte Rachel urplötzlich nicht mehr. Von einer Sekunde zur anderen hörten ihre Lippen auf zu zittern und beruhigte sich ihr Herzschlag. Dunkel erinnerte sie sich daran, wie sich Angst in Zorn umwandeln ließ. Und als sie den heißen Atem der NPF L-Soldaten wieder auf ihrer Haut spürte und die gelblichen Augäpfel vor sich sah, biss sie entschlossen die Zähne zusammen.
Damals hatte sie gehandelt, also konnte sie das auch jetzt.
Sie wandte sich an ihre Chauffeurin. »Wenn wir Joshua die Sachen abgeliefert haben, dann übernehme ich das Steuer, einverstanden?«
Isabel schüttelte den Kopf. »Das geht nicht, Rachel. Du kennst mein Auto nicht. Alles Mögliche funktioniert nicht richtig. Das automatische Abblendlicht geht nicht. Die Handbremse hält nicht. Der Wagen übersteuert.«
Sie zählte noch mehr Defekte auf, aber das kümmerte Rachel alles nicht. Offenbar traute Isabel es der heiligen Rachel auf dem Beifahrersitz nicht zu, es ihr hinter dem Steuer gleichzutun. Dann musste sie eben eines Besseren belehrt werden.
Die beiden trafen Joshua in Odense auf dem Bahnsteig. Er war grau im Gesicht und fühlte sich miserabel.
»Mir gefällt überhaupt nicht, was ihr da sagt!«
»Nein, Joshua. Aber Isabel hat recht. Wir machen es so. Der Kerl muss wissen, dass wir ihm auf den Fersen sind. Hast du das Navi mit, wie besprochen?«
Er nickte. Seine Augen waren gerötet. »Ich scheiß auf das Geld«, sagte er.
Rachel packte entschlossen seinen Arm. »Das Geld spielt überhaupt keine Rolle. Nicht mehr. Du befolgst nur seine Anweisungen. Wenn er das Lichtsignal gibt, schmeißt du den Beutel raus, aber die Sporttasche mit dem Geld behältst du. In der Zwischenzeit folgen wir dem Zug so gut es geht. Du musst gar nichts machen, du sollst uns nur durchgeben, wo der Zug ist, wenn wir dich fragen. Klar?«
Er nickte mechanisch, schien aber alles andere als überzeugt.
»Gib mir die Tasche mit dem Geld«, sagte seine Frau. »Ich vertraue dir nicht.«
Er schüttelte den Kopf, sie hatte ihn also durchschaut.
»Komm, mach schon«, rief sie, aber er weigerte sich immer noch. Da gab sie ihm eine Ohrfeige, hart und zielgenau unter das rechte Auge. Und noch ehe er begriff, was da gerade passiert war, hatte Isabel schon nach der Tasche gegriffen.
Rachel nahm den Beutel und stopfte die Sachen des Entführers hinein, bis auf das Hemd mit den Haaren. Obenauf das Vorhängeschloss, die Kette und den Brief, den Joshua geschrieben hatte.
»Hier. Und mach alles genau so, wie wir’s besprochen haben. Sonst kriegen wir die Kinder nie wieder zu sehen. Glaub mir, ich weiß das.«
Mit dem Zug Schritt zu halten war schwieriger, als Rachel geglaubt hatte. Zwar hatten sie direkt hinter Odense zunächst einen Vorsprung, aber schon bei Langeskov wurde es eng. Joshuas Angaben waren beunruhigend, und die Kommentare, die Isabel beim Abgleichen der GP S-Positionen von sich gab, wurden zunehmend hektischer.
»Rachel, wir müssen die Plätze tauschen! Du hast nicht die Nerven für so was!«
Selten hatten Worte so unmittelbar auf Rachel gewirkt. Sietrat das Gaspedal durch und hatte den Wagen im Nu bis zum Äußersten ausgefahren. Außer dem
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