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Erlösung

Erlösung

Titel: Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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benutzt worden war. Carl wehrte sich, sah aber die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens ein. Da wandte er sich an Assad und reichte ihm die Tasse. Wenn einer abgestandenen kalten Kaffee brauchen konnte, dann er.
    »Na, du hast es ja nett hier«, sagte Carl und sah sich in der Möbellandschaft um. Vergoldete Rahmen, geschwungene Mahagonimöbelund Brokat. Davon hatte es in Karla Margarethe Alsings erlauchten Sphären immer reichlich gegeben.
    »Und womit vertreibst du dir so die Zeit?« Er rechnete mit einer Belehrung, wie schlecht die Fernsehprogramme seien und wie schwer ihr das Lesen falle.
    »Die Zeit vertreiben?« Sie bekam einen geistesabwesenden Ausdruck. »Ach, bis auf den hier ab und zu mal auszuwechseln   …«, sie unterbrach sich mitten im Satz und zog unter ihrem Rückenkissen einen orangefarbenen Dildo mit allen möglichen und unmöglichen Noppen hervor, »…   kann man doch fast nichts mehr machen.«
    Carl hörte, wie im Hintergrund Assads Kaffeetasse auf der Untertasse wackelte.

29
    Mit jeder Stunde, die verging, schwanden ihre Kräfte. Nachdem das Geräusch des Autos in der Ferne verklungen war, hatte sie aus vollem Hals geschrien. Aber nach jedem Schrei spürte sie deutlicher, wie schwer es ihr fiel, die Lungen wieder mit Luft zu füllen. Die Last der Kartons war einfach zu groß. Nach und nach wurde ihre Atmung flacher.
    Sie wand ihre rechte Hand ein bisschen hervor, sodass sie mit den Nägeln am Karton vor ihrem Gesicht kratzen konnte. Allein schon das Geräusch zu hören, ließ sie hoffen. Etwas konnte sie also doch tun.
    Als sie mehrere Stunden so gelegen hatte, fehlte ihr endgültig die Kraft zum Schreien. Nun ging es nur noch darum, am Leben zu bleiben.
    Vielleicht erbarmte er sich ihrer.
    Nach ein paar Stunden rief sie sich das Gefühl zu ersticken ins Gedächtnis. Diese Mischung aus Panik und Ohnmacht und in gewisser Weise auch Erleichterung. Sie kannte das Gefühl von früher. Damals, als sie noch ganz klein war, hatte sich ihr Vater, dieser gedankenlose Kleiderschrank von einem Mann, auf sie gesetzt und die Luft aus ihr gepresst.
    »Na, kannst du dich befreien?«, hatte er immer gerufen und gelacht. Für ihn war es nur ein Spiel, aber für sie war es erschreckender, bitterer Ernst gewesen.
    Aber da sie ihren Vater trotzdem liebte, sagte sie nichts.
    Und plötzlich eines Tages war er nicht mehr da. Die Spiele gab es nun nicht mehr, aber die Erleichterung darüber hatte sich nicht einstellen wollen. Mit einer Schlampe abgehauen, sagte ihre Mutter. Ihr lieber süßer Papa war mit einerSchlampe weggelaufen. Jetzt tobte er mit anderen, neuen Kindern.
    Als sie ihrem Mann begegnet war, hatte sie allen und jedem erzählt, er erinnere sie an ihren Vater.
    »Das solltest du dir auf keinen Fall wünschen, Mia«, hatte ihre Mutter gesagt.
    Ja, das hatte sie gesagt.
     
    Nachdem sie nun schon vierundzwanzig Stunden eingeklemmt unter den Kartons lag, wusste sie, dass sie sterben musste.
    Sie hatte seine Schritte draußen auf dem Flur gehört. Er hatte eine Weile vor der Tür zu der Kammer gestanden und gehorcht, dann war er gegangen.
    Du hättest stöhnen sollen, dachte sie. Vielleicht hätte er dem Ganzen dann ein Ende gemacht.
    Ihre linke Schulter hatte aufgehört wehzutun. Genau wie der Arm war sie vollkommen gefühllos. Aber die Hüfte, auf der die größte Last lag, peinigte sie in jeder Sekunde. In den ersten Stunden dieser klaustrophobischen Umklammerung hatte sie geschwitzt, aber das tat sie nun nicht mehr. Einzig und allein Urin hatte ihr Körper abgesondert, der ihr warm über die Schenkel gelaufen war.
    Da lag sie nun in einer Pfütze aus Urin und versuchte, sich einen Millimeter zu drehen, damit sich der Druck vom rechten Knie, auf dem die Last der Kisten ruhte, ein klein wenig auf den Schenkel verlagern konnte. Auch wenn es ihr nicht gelang, so hatte sie doch das Gefühl, als ob. Wie damals, als sie sich den Arm gebrochen hatte und nur außen am Gips kratzen konnte.
    Sie erinnerte sich an die Tage und Wochen, als sie und ihr Mann glücklich miteinander gewesen waren. An die allererste Zeit, als er ihr zu Füßen gelegen und alles getan hatte, was sie wollte.
    Und nun brachte er sie um. Brachte sie einfach um, ohne zu zögern, ohne jegliches Gefühl.
    Wie oft mochte er das schon getan haben? Sie wusste es nicht.
    Sie wusste nichts.
    Sie
war
nichts.
    Wer wird sich an mich erinnern, wenn ich tot bin?, dachte sie und streckte die Finger ihrer rechten Hand aus, als würde sie ein Kind streicheln.

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