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Erlösung

Erlösung

Titel: Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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Benjamin nicht, er ist noch zu klein. Meine Mutter, natürlich. Aber was ist in zehn Jahren, wenn es sie nicht mehr gibt? Wer wird sich dann noch an mich erinnern? Niemand – außer dem, der mir das Leben genommen hat. Keiner außer ihm. Und vielleicht noch Kenneth.
    Das war das Schlimmste. Dass sie sterben musste, war schlimm, klar, aber dass sich nach ihrem Tod niemand an sie erinnern würde, das war das Schlimmste. Deshalb musste sie schlucken, obwohl ihr Mund völlig trocken war, und sie weinte ohne Tränen, bis ihr gequältes Zwerchfell zitterte.
    In wenigen Jahren würde sie vergessen sein.
     
    Zwischendurch klingelte manchmal das Handy, und die Vibrationen in der hinteren Hosentasche ließen sie hoffen.
    Wenn die Töne verklungen waren, lag sie eine Stunde oder zwei da und lauschte auf die Geräusche im Haus. Und wenn Kenneth nun dort draußen stand? Wenn er nun Verdacht geschöpft hatte? Das musste er doch, oder? Er hatte doch gesehen, wie erschüttert sie bei seinem Besuch gestern war.
    Dann hatte sie ein bisschen geschlafen. Als sie plötzlich aufwachte, war ihr ganzer Körper gefühllos. Nur noch das Gesicht war lebendig. Nun war sie nur noch Gesicht. Die Nase war wie ausgetrocknet, um die Augen juckte es. Blinzeln in der Dunkelheit. Das war alles. Mehr war nicht übrig von ihr.
    Da bemerkte sie, weshalb sie aufgewacht war. War das Kenneth?Oder träumte sie? Sie schloss die Augen und lauschte intensiv. Da war jemand.
    Sie hielt die Luft an und lauschte wieder. Doch, das war Kenneth. Sie öffnete den Mund, keuchte. Er stand unten am Fenster neben der Haustür und rief. Er rief ihren Namen, sodass ihn nun die gesamte Nachbarschaft kannte. Und sie spürte, wie sich ein Lächeln auf ihren Lippen ausbreitete und wie sie sich zu einem allerletzten Schrei sammelte. Dem Schrei, der sie retten sollte. Dem Schrei, auf den hin der Soldat dort unten reagieren würde.
    Und sie schrie so laut sie konnte.
    So lautlos, dass nicht einmal sie selbst es hörte.

30
    Die Soldaten kamen am Spätnachmittag. Sie fuhren in einem verbeulten Jeep vor. Einer von ihnen schrie, die Anhänger von Samuel Doe hätten in der Dorfschule Waffen versteckt und sie solle ihnen das Waffenversteck zeigen.
    Die Haut der Männer glänzte. Auf ihre Beteuerung, sie habe mit dem Krahn-Regime von Samuel Doe nichts zu tun und wisse nichts von Waffen, reagierten sie eiskalt.
    Rachel, oder genauer Lisa, wie sie damals hieß, und ihr Freund hatten den ganzen Tag Schüsse gehört. Es kursierte das Gerücht, dass die Nachhut von Taylors Guerillatruppen gründlich und blutig ans Werk ging. Deshalb hatten sie ihre Flucht vorbereitet. Wer wollte schon abwarten, um zu sehen, ob weißhäutige Menschen vom Blutdurst des künftigen Regimes verschont blieben.
    Ihr Freund war in den ersten Stock gegangen, um das Jagdgewehr zu holen, und die Soldaten hatten sie überrumpelt, als sie einige Bücher der Schule ins Nebengebäude bringen wollte. An dem Tag hatten so viele Häuser gebrannt, sie wollte sich nur absichern.
    Und dann standen sie vor ihr, diese Männer, die den ganzen Tag gemordet hatten und die nun die Anspannung, die sich in ihren Körpern aufgestaut hatte, loswerden mussten.
    Was die Männer miteinander sprachen, konnte sie nicht verstehen, aber die Augen der Soldaten hatten ihre eigene Sprache. Sie war am falschen Ort. Viel zu jung und viel zu leicht zu haben in diesem leeren Schulraum.
    Mit letzter Kraft sprang sie zur Seite, hin zur Fensteröffnung, aber da hatten die Männer sie schon an den Knöchelngepackt. Sie zogen sie zurück und traten sie so lange, bis sie still am Boden lag.
    Drei Köpfe tanzten einen Augenblick lang in ihrem Blickfeld, dann fielen zwei Leiber über sie her.
    Aus Übermut und Machtgefühl heraus lehnte der dritte Soldat seine Kalaschnikow an die Wand und half den anderen, ihr die Beine auseinanderzuzerren. Sie hielten ihr den Mund zu, und hysterisch lachend drangen sie einer nach dem anderen in sie ein. Sie atmete fieberhaft durch die verklebten Nasenlöcher, ganz kurz hörte sie ihren Freund neben sich stöhnen. Sie hatte Angst um ihn. Angst, die Soldaten könnten ihn hören und kurzen Prozess machen.
    Aber der Freund stöhnte nur ganz leise. Darüber hinaus reagierte er überhaupt nicht.
    Als sie Minuten später im Staub auf dem Fußboden lag und zur Tafel sah, an die sie erst zwei Stunden zuvor
I can hop, I can run
geschrieben hatte, war ihr Freund mit seinem Gewehr verschwunden. Es wäre im Übrigen ein Leichtes für ihn

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