Erlösung
und das spürte sie.
Keines der Kinder verstand ihn. Sie verstanden nicht, warum er seine beiden eigenen Mädchen bestrafte, wo er doch dem Stiefsohn gegenüber nur Hass und der Stieftochter gegenüber nur Geringschätzung empfand! Und keines der Kinder konnte verstehen, warum ihre Mutter nicht eingriff. Aber vor allem – warum zeigte sich Gott in den Taten dieses Mannes als so böse und so himmelschreiend ungerecht?
Eine Zeit lang verteidigte Eva den Stiefvater. Aber das hörte auf, als er die Stiefschwestern so furchtbar schlug, dass sie die Spuren ertasten konnte.
Ihr Bruder verhielt sich abwartend. Er sammelte gewissermaßen Kraft für die Endabrechnung, die eines Tages kommen würde. Und zwar dann, wenn sie es am wenigsten erwarteten.
Damals waren sie vier Kinder, Mann und Frau. Heute waren nur noch Eva und er übrig.
Aus dem Handschuhfach nahm er die Klarsichthülle mit den Informationen über die Familie. Dort stand auch Joshuas Handynummer.
Er würde ihn anrufen und mit der Realität konfrontieren: dass seine Frau und ihre Mitverschworene unschädlich gemacht und als Nächstes seine Kinder an der Reihe seien, falls das Geld nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden an einem neuen Ort abgeliefert würde. Und dass auch er, Joshua, umgebracht würde, falls er abermals Außenstehende in die Sache hineinzog.
Er sah das rötliche Gesicht des gutmütigen Familienvatersvor sich. Der Mann würde zusammenklappen und alles tun, was er verlangte. Das sagte ihm seine Erfahrung.
Er wählte die Nummer und wartete. Seinem Empfinden nach dauerte es zu lange, bis abgenommen wurde.
»Ja, hallo?«, sagte eine Stimme, die er nicht sofort mit Joshua in Verbindung brachte.
»Könnte ich bitte mit Joshua sprechen?« Scheinwerferlicht glitt hinter ihm auf den Parkplatz.
»Mit wem spreche ich?«
»Ist das nicht das Handy von Joshua?«, entgegnete er.
»Nein, ist es nicht. Sie haben sich sicher verwählt.«
Er sah auf sein Handy. Nein, hatte er nicht. Was war hier los?
Da fiel es ihm ein. Der Name!
»O ja, Entschuldigung. Ich sage Joshua, so nennen wir ihn alle. Aber er heißt ja Jens Krogh, bitte entschuldigen Sie, das vergisst man manchmal. Kann ich ihn sprechen?«
Er saß ganz still und starrte vor sich hin. Der Mann am anderen Ende schwieg. Das verhieß nichts Gutes. Wer zum Teufel war das?
»Ah ja«, sagte die Stimme dann schließlich. »Und mit wem spreche ich?«
»Mit seinem Schwager.« Das war ein Schuss aus der Hüfte. »Könnten Sie ihn mir jetzt bitte geben?«
»Nein, tut mir leid. Sie sind mit der Polizei in Roskilde verbunden, Sie sprechen mit Polizeiassistent Leif Sindal. Sie sagen, Sie sind sein Schwager. Wie heißen Sie?«
Die Polizei? Hatte der Idiot die Polizei informiert? War der denn total durchgedreht?
»Die Polizei? Ist Joshua etwas zugestoßen?«
»Dazu kann ich Ihnen nichts sagen, wenn Sie mir nicht Ihren Namen nennen.«
»Ich heiße Søren Gormsen«, sagte er da. So lautete seine Regel. Gib bei der Polizei immer ungewöhnliche Namen an.Dann glauben sie dir. Dann meinen sie, das könnten sie überprüfen.
»Aha«, kam dann. »Søren Gormsen, können Sie uns Ihren Schwager beschreiben?«
»Ja, das kann ich. Er ist ein großer, kräftiger Mann. Halbglatze. Achtundfünfzig Jahre, trägt immer eine olivgrüne Weste und …«
»Søren Gormsen«, unterbrach ihn der Polizist. »Wir wurden gerufen, weil Jens Krogh leblos in einem Zug aufgefunden wurde. Wir haben einen Kardiologen hier bei uns. Es tut mir leid, aber ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihr Schwager soeben für tot erklärt wurde.«
Er ließ die Worte nachklingen, ehe er seine Frage stellte. »O nein. Das ist ja entsetzlich. Was ist denn passiert?«
»Wir wissen es nicht. Einem Mitreisenden zufolge ist er einfach umgefallen.«
Konnte das eine Falle sein?
»Wohin lassen Sie ihn bringen?«
Er hörte den Polizisten und den Arzt im Hintergrund reden. »Eine Ambulanz holt ihn ab. Man wird höchstwahrscheinlich eine Obduktion verlangen.«
»Dann bringen Sie Joshua nach Roskilde ins Krankenhaus?«
»Wir verlassen den Zug erst in Roskilde, ja.«
Er bedankte sich, drückte sein Bedauern aus und stieg aus dem Auto, um das Handy abzuwischen und es dann in die Hecke zu werfen. Für den Fall, dass das eben alles gestellt war.
»Hey, Sie!«, hörte er hinter sich. Er drehte sich um und sah zwei Männer aus dem Auto steigen, das in der Zwischenzeit hinter ihm geparkt hatte. Litauische Nummernschilder, uralte Jogginganzüge und
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