Erlösung
förmlich aus den schwarz umrandeten Augen.
Abwehrend hob er die Hände.
Der Stuhl in seinem Büro rief sanft nach ihm.
»Was hat das mit ihrer Zwillingsschwester auf sich, Assad? Hat Rose schon mal mit so was gedroht?«
Während Carl bereits das Blei in den Beinen spürte, federte Assad neben ihm die Treppe in der Rotunde hinauf. »Ach, Carl, nimm’s nicht so schwer. Rose ist wie Sand auf einem Kamelrücken. Manchmal juckt er einen am Arsch, und manchmal nicht. Das hängt ganz davon ab, wie dickhäutig man gerade ist.« Er drehte sich zu Carl um und enthüllte zwei Reihen Zahnperlen. Wenn irgendein Arsch im Lauf der Zeit ein dickes Fell bekommen hatte, dann mit Sicherheit seiner.
»Sie hat mir von ihrer Schwester erzählt. Die heißt Yrsa, das weiß ich noch, weil es sich auf Irma reimt. Und ich glaube nicht, dass die zwei dicke Freundinnen sind«, ergänzte Assad.
Yrsa? Gibt es tatsächlich heute noch Menschen, die so heißen?, dachte Carl. Sie waren im zweiten Stock angekommen und seine Herzklappen tanzten Fandango.
»Hallo, Jungs«, klang es wunderbar vertraut von der anderen Seite der Theke herüber. Also war Lis wieder am Platz. Lis’ vierzig Jahre alter, gut erhaltener Body und ihre ebenso elastischen Gehirnzellen. Eine Freude für alle Sinne. Ganz anders Frau Sørensen. Die lächelte Assad milde zu und hob bei Carls Anblick den Kopf wie eine provozierte Kobra.
»Lis, erzähl doch Herrn Mørck, wie schön ihr es drüben inden USA hattet, Frank und du.« Sie lächelte angriffslustig, die alte Schachtel.
»Das muss warten«, ging Carl schnell dazwischen. »Wir haben einen Termin beim Chef.«
Vergeblich zog er Assad am Arm.
Der Teufel hol dich, Assad, dachte Carl, während Lis’ infrarote Lippen freudestrahlend von ihrem vierwöchigen Trip durch die USA berichteten. Ihr halb welker Ehemann hatte im Doppelbett des Wohnmobils offenbar die Urkräfte eines Bisons wiedererlangt. Bilder, die Carl mit aller Macht verbannen wollte, genau wie den Gedanken an seinen eigenen unfreiwilligen Zölibat.
Verfluchte Sørensen, dachte er. Verfluchter Assad. Verflucht der Mann, der Lis gekapert hatte. Und zuletzt auch noch verfluchte Ärzte ohne Grenzen, die Mona, das Epizentrum seines Begehrens, ins finsterste Afrika gelockt hatten.
»Wann kommt eigentlich diese Psychologin zurück, Carl?«, fragte Assad, als sie am Konferenzraum vorbeigingen. »Wie hieß die noch gleich, ich meine außer Mona?«
Carl ignorierte Assads anzügliches Grinsen und öffnete die Tür zu Marcus Jacobsens Büro. Hier saß fast das gesamte Dezernat A und rieb sich die Augen. Ein paar harte Tage lang waren sie dem Druck der öffentlichen Meinung ausgesetzt gewesen, aber Assads Entdeckung würde jetzt wohl etwas Druck aus dem Kessel nehmen.
Marcus Jacobsen brauchte geschlagene zehn Minuten, um seine Gruppenführer zu briefen. Er und Lars Bjørn wirkten ziemlich enthusiastisch. Mehrfach fiel Assads Name und mehrfach wandten sich Assads stolzem Gesicht Augenpaare zu, in denen sich unverhohlen das Erstaunen darüber ausdrückte, wie dieser hergelaufene Kameltreiber von einer Putzhilfe plötzlich in ihre Mitte geraten konnte.
Aber offen zu fragen, wagte dann doch keiner. Jedenfalls war es Assad, der einen Zusammenhang zwischen den altenund den neuen Fällen von Brandstiftung entdeckt und sie damit in ihren Ermittlungen weitergebracht hatte. Alle an den Brandstätten gefundenen Leichen hatten am Knochen des linken kleinen Fingers diese Einkerbung. Einzige Ausnahme war nur das Brandopfer, bei dem der kleine Finger gleich ganz fehlte. Die Rechtsmediziner hatten das zwar jeweils angemerkt, nur war bislang niemand auf die Idee gekommen, eine Verbindung herzustellen.
Den Obduktionsberichten zufolge deutete alles darauf hin, dass zwei der Toten einen Ring am kleinen Finger getragen hatten. Aber nicht die Überhitzung des Metalls durch das Feuer hatte die Einkerbung in den Knochen verursacht, sagten die Rechtsmediziner. Sehr viel näher lag der Schluss, dass die Toten diese Ringe seit frühester Jugend getragen hatten, weshalb sie sogar Spuren am Knochengewebe hinterlassen konnten. Vielleicht hatten die Ringe irgendeine kulturelle Bedeutung, ähnlich dem Füßebinden bei den Chinesen, schlug einer vor, ein anderer mutmaßte, es könnte doch auch etwas Rituelles im Spiel sein.
Marcus Jacobsen nickte. Ja, vielleicht etwas in der Art. Die eine oder andere Form von Bruderschaft: Hatte man den Ring erst einmal aufgesteckt, wurde er nie mehr
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