Erlösung
stand quer über dem Kellerflur.
»Vierundsechzig DIN-A 4-Bögen . Super, was? Ich bringe hier die letzten fünf. Zweivierzig hoch und einssiebzig breit. Hat sie nicht ein richtig schlaues Köpfchen?«
Carl trat ein paar Schritte näher, während Rose, den Hintern in die Höhe gereckt, dabei war, unten in der Ecke Assads Kopien festzukleben.
Carl betrachtete erst ihr Hinterteil, dann das Werk. Die brachiale Vergrößerung der Kopie hatte Vor- und Nachteile, das sah man sofort.
Die Bereiche, wo das Papier die Buchstaben mehr oder weniger vollständig aufgesaugt hatte, wirkten unglaublich verwischt, während andere Teile plötzlich einen Sinn ergaben: die mit den undeutlichen, schiefen Buchstaben, die von denschottischen Konservatoren herausgeholt und einigermaßen sichtbar gemacht worden waren.
Der langen Rede kurzer Sinn: Mit einem Mal stand man mindestens zwanzig zusätzlichen entzifferbaren Buchstaben gegenüber!
Rose drehte sich eine Sekunde zu ihm um, ignorierte seine Handbewegung, die einen Gruß darstellen sollte, und zog eine Leiter auf den Flur.
»Kletter da mal hoch, Assad. Dann sag ich dir, wo du die Punkte machen sollst, okay?«
Sie schob Carl zur Seite und stellte sich haargenau an die Stelle, wo er eben gestanden hatte.
»Nicht zu fest aufdrücken, Assad. Das muss man wieder wegradieren können.«
Assad nickte von der Leiter herunter, den Bleistift in Bereitschaft.
»Fang an unter ›HILFE‹, direkt vor und direkt nach dem i. Ich meine, dort könnte jeweils ein Buchstabe sein. Was denkst du?«
Assad und Carl betrachteten die Flecke, die das i wie grauschwarze Schäfchenwolken einrahmten.
Dann nickte Assad und setzte einen Strich als Platzhalter auf jeden der beiden Flecke.
Carl trat einen Schritt zurück. Das war sicher richtig. Unter der deutlichen Überschrift »HILFE« waren insgesamt drei undeutliche Flecke zu erkennen und in dem mittleren von ihnen ein nur unwesentlich deutlicheres i. Durch das Meer- und Kondenswasser hatten sich der vorangehende und der nachfolgende Buchstabe aufgelöst und waren in die Papiermasse eingesickert.
Carl beobachtete den Auftritt einen Moment. Rose dirigierte Assad. Eine langsame Angelegenheit. Endlose Stunden mit endlosen Ratereien. Und wozu das alles? Die Flaschenpost konnte Jahrzehnte alt sein – oder einfach nur ein schlechterScherz. Die Buchstaben wirkten so unbeholfen. Als hätte ein Kind sie geschrieben. Ein paar Pfadfinder und ein kleiner Schnitt in den Finger. Das war’s. Oder nicht?
»Rose, ich weiß nicht recht«, begann er vorsichtig. »Vielleicht sollten wir’s einfach vergessen. Auf uns warten schließlich noch haufenweise andere Fälle.«
Er konnte genau sehen, wie seine Ansage wirkte. Roses Körper begann zu zittern, ihr Rücken bebte. Fast hätte man meinen können, dass sich ein Lachanfall ankündigte. Aber Carl kannte Rose, und deshalb zog er sich zurück, nur einen Schritt, aber ausreichend, um einer funkensprühenden Schimpftirade nicht ganz so direkt ausgesetzt zu sein.
Okay, sie war nicht glücklich mit seiner Einmischung. Er war ja nicht schwer von Begriff.
Er nickte. Wie gesagt, es gab so viel anderes, worum sie sich zu kümmern hatten. Ihm fielen jedenfalls ein paar gewichtige Akten ein, die, in der richtigen Weise aufgeschlagen, sein Gesicht ausgezeichnet verdecken würden, während er seinem gelegentlich ungedeckten Schlafbedürfnis nachgab. Sollten die anderen doch in der Zwischenzeit ihren Pfadfinderspielen nachgehen.
Rose registrierte seinen feigen Rückzug, als sie sich mit stechendem Blick langsam umdrehte.
»Aber das ist gut überlegt, Rose, das hier. Echt gut«, beeilte er sich nachzuschieben. Doch natürlich schluckte sie den Köder nicht.
»Du hast zwei Möglichkeiten, Carl«, fauchte sie, und Assad verdrehte oben auf der Leiter die Augen. »Entweder du hältst die Klappe oder ich gehe nach Hause. Und schicke dir stattdessen meine Zwillingsschwester. Und weißt du was?«
Carl schüttelte langsam den Kopf. Er war sich gar nicht sicher, ob er es überhaupt wissen wollte. »Na, die wird wohl mit drei Kindern und vier Katzen kommen«, mutmaßte er, »plus vier Untermietern und einem Mistkerl von einem Mann, wares nicht so? Dann wird’s in deinem Büro aber verdammt eng. War das die Antwort?«
Sie stemmte die Hände in die Hüften und beugte sich zu ihm vor. »Ich weiß nicht, wer dir so was eingeredet hat. Yrsa wohnt bei mir zu Hause und hat weder Katzen noch Untermieter.« Das Wort »Idiot« leuchtete ihr
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