Erlösung
Protokoll? Sollen wir das jetzt gleich aufnehmen?«
Carl klopfte dem Kollegen auf die Schulter. »Das kann warten. Mich könnt ihr jederzeit erwischen. Wenn ihr mit den Leuten anfangt, die hier arbeiten, spreche ich mit den vier Kameraden aus der Bowlingmannschaft.«
Notgedrungen ließen sie ihn ziehen. Er hatte ja recht.
Carl nickte Lars Brande zu, dem der Schock ins Gesicht geschrieben stand. Zwei Männer auf einen Schlag weg. Messerstecherei, Todesfall. Seine Mannschaft war am Ende. Menschen, die er zu kennen glaubte, hatten ihn in absolut unverzeihlicher Weise im Stich gelassen.
Ja, er war erschüttert, und sein Bruder und die beiden anderen waren es ebenso. Sprachlos hockten die vier zusammen.
»Wir müssen unbedingt wissen, wer dieser René Henriksen wirklich ist. Also bitte überlegen Sie. Können Sie uns helfen? Womit auch immer. Hat er Kinder? Wie heißen die? Ist er verheiratet? Wo hat er gearbeitet? Wo kauft er ein? Hat erKuchen von einem bestimmten Bäcker mitgebracht? Denken Sie nach!«
Drei der Bowlingkumpel reagierten gar nicht. Aber der vierte, der Mechaniker, den sie Gasgriff nannten, bewegte sich etwas. Er wirkte vielleicht nicht ganz so mitgenommen wie die anderen.
»Ich hab mich manchmal gefragt, warum er nie über seine Arbeit redete«, sagte er. »Das haben wir anderen ja doch immer mal gemacht.«
»Ja, und?«
»Na ja, er schien etwas mehr Geld zur Verfügung zu haben als wir anderen. Also muss er doch einen guten Job gehabt haben, oder? Hat nach einem Turnier vielleicht öfter mal ein Bier ausgegeben als wir. Ja, der hatte mit Sicherheit mehr Geld. Sehen Sie sich doch nur die Tasche an!«
Er deutete hinter den Barhocker, auf dem er saß.
Carl trat blitzschnell einen Schritt zurück und sah direkt auf eine merkwürdige, aus mehreren Unterabteilungen zusammengesetzte Tasche.
»Das ist eine Ebonite Fastbreak«, sagte der Mechaniker. »Was glauben Sie wohl, was so ’n Teil kostet! Mindestens dreizehnhundert. Da sollten Sie mal meine sehen. Gar nicht zu reden von seinen Kugeln, die …«
Doch Carl hörte ihn schon nicht mehr. Das war ja echt unglaublich! Warum hatten sie da nicht früher dran gedacht? Hier stand seine Tasche!
Er schob den Barhocker zur Seite und zog die Tasche hervor. Das war ein richtiger kleiner Koffer auf Rädern, unterteilt in alle möglichen Fächer unterschiedlicher Größe.
»Sind Sie sicher, dass das seine ist?«
Der Mechaniker nickte, etwas erstaunt, dass diese Information so ernst genommen wurde.
Carl winkte die Kollegen aus Roskilde heran. »Gummihandschuhe, schnell!«
Der eine gab ihm ein Paar.
Carl spürte, dass seine Stirn klatschnass war. Schweiß tropfte direkt auf die blaue Tasche, als er den Reißverschluss aufzog. Das war fast, als öffnete man eine längst vergessene Grabkammer.
Als Erstes sah er eine Bowlingkugel. Glatt poliert und erstaunlich bunt. Dann ein zusätzliches Paar Schuhe. Eine kleine Dose Talkum. Ein Fläschchen japanisches Pfefferminzöl.
Er hob die Flasche hoch und zeigte sie den Bowlingkumpeln. »Wofür hat er das benutzt?«
Der Mechaniker betrachtete das Fläschchen. »Das hat er halt immer gemacht. So ’n Ritual. Jedes Mal, bevor es losging, nahm er einen Tropfen von diesem Zeugs in jedes Nasenloch. Hat wohl geglaubt, dann bekäme er mehr Sauerstoff. Irgendwas mit der Konzentration. Probieren Sie’s mal, ein Teufelszeug.«
Carl öffnete derweil die anderen Fächer. In dem einen steckte eine Kugel, das andere war leer. Das war alles.
»Darf ich auch mal sehen?«, fragte Assad, als Carl einen Schritt zurücktrat. »Was ist mit den Fächern vorn? Hast du da auch reingeschaut?«
»Wollte ich noch.« Carl war in Gedanken schon ganz woanders.
»Wissen Sie, wo er die Tasche gekauft hat?«, fragte er ins Blaue.
»Übers Internet«, kam die Antwort von drei Seiten gleichzeitig.
Im Internet, klar doch. So ein Mist!
»Und die Schuhe und das Übrige?«, hakte er nach, während Assad einen Kugelschreiber aus der Hosentasche zog und damit in einem der Löcher der Kugel herumstocherte.
»Wir kaufen alles im Internet, jeder von uns. Ist billiger«, sagte der Mechaniker.
»Haben Sie nie über Privates geredet? Über Ihre Kindheit,Jugend, wo Sie mit dem Bowling begonnen haben? Wann Sie das erste Mal über zweihundert gekommen sind?«
Nun liefert mir mal was, ihr kugelschiebenden Idioten. Das kann doch alles nicht wahr sein!
»Nö. Wir haben nur über das geredet, was in dem Moment gerade anstand«, fuhr der Mechaniker fort.
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