Erlösung
Wandschrägen waren zerfetzt, die Trennwände ragten wie zackige Türmchen auf und erinnerten ein wenig an Ground Zero. Eine rußgeschwärzte Landschaft der Zerstörung.
»Wo lag denn die Leiche?«, fragte Carl einen älteren Mann, der sich als Repräsentant für Brandursachenermittlung der Versicherungsgesellschaft vorstellte.
Der Versicherungsmann deutete auf einen Fleck am Fußboden.
»Die Explosion war heftig und kam in zwei Intervallen, die dicht aufeinanderfolgten«, erklärte er. »Die eine entfachte den Brand, die zweite entzog dem Raum allen Sauerstoff und löschte den Brand wieder.«
»Dann war das also kein Schwelbrand im üblichen Sinn, wo das Opfer an einer Kohlenmonoxidvergiftung stirbt?«, fragte Carl.
»Nein.«
»Der Mann – starb der gleich bei der Explosion oder ist er eher langsam erstickt und dann verbrannt? Was glauben Sie?«
»Ich weiß es nicht. Da ist so wenig übrig, das lässt sich nicht sagen. Wir finden bei solchen Leichen kaum Reste der Atemwege. Deshalb können wir auch nichts über die Rußkonzentration in Lunge und Luftröhre sagen.« Er schüttelte den Kopf. »Schwer zu glauben, dass das Feuer die Leiche in so kurzer Zeit in diesen Zustand versetzt haben soll. Das hatte ich Ihren Kollegen draußen in Emdrup neulich auch schon gesagt.«
»Was?«
»Na, dass ich den Brand für arrangiert hielt. Ich glaube, der sollte nur kaschieren, dass das Opfer in Wahrheit bei einem ganz anderen Brand starb.«
»Sie meinen, die Leiche wurde bewegt? Und was haben die dazu gesagt?«
»Ich glaube, die waren derselben Meinung.«
»Also Mord? Ein Mann wurde ermordet und verbrannt und dann zu einem anderen Brandort gebracht?«
»Nun, mit Sicherheit sagen lässt sich das natürlich nicht. Aber ja, meiner Meinung nach ist es sehr wahrscheinlich, dass das Opfer bewegt wurde. Schwer vorstellbar, dass bei einem so kurzen, wenn auch heftigen Brand eine Leiche bis aufs Skelett verbrennen kann.«
»Und Sie sind bei allen drei Brandstätten gewesen?«, fragte Assad.
»Das hätte ich theoretisch sein können, denn ich arbeite für verschiedene Versicherungsgesellschaften. Aber in der Stockholmsgade war ein Kollege.«
»Waren die Örtlichkeiten der anderen Brandstätten vergleichbar mit dieser hier?«, fragte Carl.
»Nein. Bis auf diese waren alle leer. Deshalb liegt die Theorie, bei den Opfern habe es sich um Obdachlose gehandelt, natürlich nahe.«
»Und Sie glauben also, dass es sich jedes Mal nach dem gleichen Muster abgespielt hat? Dass die Toten jeweils in ein leer stehendes Gebäude gebracht wurden, um dort ein zweites Mal verbrannt zu werden?«, fragte Assad.
Der Versicherungsmann sah den ungewöhnlichen Ermittler ruhig an. »Davon kann man in vielerlei Hinsicht ausgehen, ja, das meine ich durchaus.«
Carl legte den Kopf in den Nacken und besah sich den schwarzen Dachstuhl. »Ich habe zwei Fragen an Sie, dann lassen wir Sie in Ruhe.«
»Legen Sie los.«
»Warum zwei Explosionen? Warum den Mist nicht einfach schnell abbrennen lassen? Haben Sie darauf eine Antwort?«
»Für mich kommt als Erklärung nur in Frage, dass die Brandstifter bewusst auf kontrollierte Schäden aus waren.«
»Danke! Die zweite Frage lautet, ob wir Sie anrufen dürfen, wenn wir noch mehr Fragen haben?«
Der Mann lächelte und fischte seine Visitenkarte aus der Tasche. »Natürlich. Ich heiße Torben Christensen.«
Carl suchte in der Tasche nach seinem eigenen Kärtchen, wohl wissend, dass es keines gab. Noch eine Aufgabe für Rose, sobald sie zurückkam.
»Ich verstehe das nicht.« Assad stand neben ihnen und zog an der Wandschräge Striche in den Ruß. Er gehörte offenbar zu der Sorte Menschen, die sich mit einem winzigen Fleck Farbe am Finger sämtliche Kleidungsstücke und die ganze Umgebung verschmieren können. Im Moment hatte er jedenfalls genug Ruß an seinen Klamotten und im Gesicht, um damit eine mittlere Kleinstadt einzusauen. »Ich verstehe nicht, was ihr da redet. Das muss doch alles zusammenhängen. Das mit dem Ring am Finger oder dem fehlenden Finger und das mitden Toten und den Bränden und überhaupt.« Dann wandte er sich abrupt dem Ermittler der Versicherungsgesellschaft zu. »Wie viel Geld zahlt Ihre Versicherung der Firma für das hier? Das ist doch ein beschissenes altes Haus.«
Torben Christensen runzelte die Stirn. Der Gedanke an Versicherungsbetrug stand jetzt offen im Raum, aber er stimmte dem nicht unbedingt zu. »Ja, das Gebäude war nicht sonderlich hochwertig, aber die Firma hat
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