Erlösung
verbrutzelt. Widerlich. Auch im Hinblick auf die weitere Existenz des Topfes.
»Was ist hier los?«, fragte Carl draußen auf der Terrasse und sah dabei Hardy an, der unter vier Lagen Decken still vor sich hin lächelte.
»Du weißt doch, Hardy hat ganz oben am Oberarm einen kleinen Fleck, den er spüren kann«, sagte Morten.
»Ja, das sagt er, ja.«
Morten wirkte wie ein Junge, der zum ersten Mal ein Heft mit nackten Damen in der Hand hat und es jetzt aufschlagen soll. »Und du weißt, dass er im Mittelfinger und im Zeigefinger der einen Hand leichte Reflexe hat?«
Carl sah Hardy an und schüttelte den Kopf. »Was ist das hier? Ein neurologisches Ratequiz? In dem Fall machen wir vor den unteren Landesteilen halt, okay?«
Morten bleckte die vom Rotwein verfärbten Zähne und lachte. »Und vor zwei Stunden hat Hardy sein Handgelenk ein bisschen bewegt. Ja, Carl, hat er wirklich. Darüber habe ich das Mittagessen vergessen.« Begeistert breitete er die Arme aus, sodass man einen guten Eindruck von seiner Korpulenz bekommen konnte. Er sah aus, als wollte er Carl jeden Moment umarmen. Das sollte er nur mal versuchen.
»Darf ich mal sehen, Hardy?«, war Carls trockene Reaktion.
Morten schlug die Decke zurück und enthüllte Hardys kreideweiße Haut.
»Na komm, alter Freund, zeig mal her«, sagte Carl, und Hardy schloss die Augen und biss die Zähne zusammen, dass die Kiefermuskulatur hervortrat. Es war, als würden sämtliche Impulse des Körpers durch die Nervenbahnen zu dem Handgelenk beordert, auf das sich jetzt alle Aufmerksamkeit richtete. Hardys Gesichtsmuskeln begannen zu zittern, und das taten sie lange, bis er am Ende ausatmen und aufgeben musste.
»Oh«, sagten die Leute ringsum und kamen mit allen möglichen Ermunterungen. Aber das Handgelenk bewegte sich nicht.
Carl blinzelte Hardy tröstend zu und zog dann Morten mit sich zur Hecke.
»Das hier musst du noch erklären, Morten. Wozu soll diese Aufregung gut sein? Du hast eine verdammte Verantwortung für ihn, das ist dein Job. Also lass das und mach dem armen Mann nicht solche Hoffnungen, und vor allem hör auf damit, aus ihm eine Zirkusnummer zu machen. Ich geh jetzt hoch und zieh ’ne Jogginghose an und du bugsierst die Leute nach Hause und Hardy wieder an seinen Platz. Klar?«
Er hatte nicht mal Lust, sich die faulen Ausreden anzuhören. Die konnte Morten beim übrigen Publikum loswerden.
»Sag das noch mal«, bat Carl eine halbe Stunde später.
Hardy sah seinen ehemaligen Partner ruhig an. Er wirkte würdevoll, wie er dort lag, dieses lange Elend.
»Es stimmt, Carl. Morten hat es nicht gesehen, aber er stand neben mir. Mein Handgelenk hat sich leicht bewegt. Und an der Schulter tut es ein bisschen weh.«
»Und warum kannst du es dann nicht wiederholen?«
»Ich weiß nicht genau, was ich gemacht habe, aber es war kontrolliert. Nicht nur ein Zucken.«
Carl legte seinem gelähmten Partner eine Hand auf die Stirn. »Meines Wissens ist das so gut wie unmöglich, aber ich glaube dir, klar. Ich weiß nur nicht, was wir daraus machen sollen.«
»Aber ich«, meldete sich Morten zu Wort. »Hardy hat oben an der Schulter einen Fleck, in dem er Gefühl hat. Und der tut weh. Ich finde, wir sollten diesen Punkt stimulieren.«
Carl schüttelte den Kopf. »Hardy, glaubst du, dass das eine gute Idee ist? Klingt wie Quacksalberei.«
»Ja und?«, fragte Morten. »Ich bin doch eh hier, und was kann es schaden?«
»Dass du alle unsere Töpfe ruinierst.«
Carl sah hinaus auf den Flur. Wieder eine Jacke zu wenig an den Haken. »Wollte Jesper nicht mitessen?«
»Er ist in Brønshøj bei Vigga.«
Wie bitte? Was wollte Jesper denn in dem arschkalten Gartenhaus? Noch dazu, wo er Viggas neuesten Freund hasste. Nicht weil das Jüngelchen Gedichte schrieb und eine riesige Brille trug. Eher, weil er sie ihnen vorlas und anschließend Feedback verlangte.
»Warum ist Jesper dort? Der Kerl schwänzt doch nicht etwa wieder?« Carl schüttelte den Kopf. Nur noch wenige Monate bis zum Abi. In Anbetracht des idiotischen Notensystems und der erbärmlichen Oberstufenreform sollte Jesper sich verdammt noch mal auf den Hosenboden setzen und zumindest so tun, als würde er büffeln.
Hier brach Hardy in die Gedankenkette ein. »Ganz ruhig, Carl. Jesper und ich arbeiten jeden Tag nach der Schule zusammen. Ich höre ihn ab, bevor er zu Vigga abzieht. Er ist gut davor.«
Gut davor? Das klang echt surreal. »Und warum ist er überhaupt bei seiner Mutter?«
»Sie hat ihn
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