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Erlösung

Erlösung

Titel: Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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Dieses Netz, das er damals zwischen den Grundpfählen gespannt hatte, nachdem eines seiner Opfer irgendetwas ins Wasser geworfen hatte.
    Nein, die Kinder konnten jammern, so viel sie wollten.
    Niemand würde sie hören.
    Wieder sah er auf die Uhr. Heute würde er seine Frau nicht anrufen, wie er es sonst tat, wenn er sich auf den Heimweg nach Roskilde machte. Warum ihr einen Hinweis geben, wann sie ihn zu Hause erwarten konnte?
    Er würde rasch in Ferslev vorbeifahren, den Lieferwagenwieder in der Scheune abstellen und für die Strecke nach Hause in seinen Mercedes umsteigen. Weniger als eine Stunde, dann würde er wissen, was mit seiner Frau los war.
     
    Auf den letzten Kilometern vor seinem Heim erreichte er eine Art Frieden mit sich selbst. Wie war es eigentlich zu diesem Argwohn gegen seine Frau gekommen? Lag der Fehler nicht bei ihm? Waren sein Misstrauen und seine verdorbenen Gedanken nicht von all den Lügen genährt, die er selbst ständig ausspie? In denen er lebte? War das alles nicht eine Konsequenz seines eigenen Doppellebens?
    Nein, ganz ehrlich, uns geht es doch gut miteinander, das war sein letzter Gedanke, bevor er konstatierte, dass in der Einfahrt an der Trauerweide ein Herrenfahrrad lehnte. Ein Fahrrad, das nicht sein eigenes war.

17
    Einst hatten ihr die morgendlichen Telefongespräche mit ihrem Mann Energie verliehen. Allein der Klang seiner Stimme hatte ihr gereicht, um einem neuen Tag ohne menschliche Kontakte halbwegs gelassen entgegenzusehen. Allein der Gedanke an seine Umarmung hatte sie aufgerichtet.
    Aber ihre Gefühle hatten sich verändert. Der Zauber war verschwunden.
    Morgen rufe ich Mutter an und söhne mich mit ihr aus, redete sie sich selbst zu. Aber der Tag verging und der nächste Morgen kam, und sie hatte es wieder nicht getan.
    Denn was sollte sie auch sagen? Dass ihr die Entfremdung leidtat? Dass sie sich vielleicht doch geirrt hatte? Dass sie das aber erst gemerkt hatte, seit sie einem anderen Mann begegnet war? Dass dieser Mann sie mit Worten füllte, und dass sie inzwischen nichts anderes hörte? Natürlich konnte sie das ihrer Mutter nicht sagen. Aber es stimmte.
    Diese unendliche Leere, die ihr Mann immer in ihr zurückgelassen hatte, die war jetzt ausgefüllt.
    Kenneth war mehr als einmal da gewesen. Sobald sie Benjamin in der Kinderkrippe abgeliefert hatte, stand er da. Trotz des launischen Märzwetters immer in kurzärmeligen Hemden und engen Sommerhosen. Acht Monate Stationierung im Irak und danach zehn Monate in Afghanistan, das hatte ihn abgehärtet. Beißend kalte Temperaturen draußen wie drinnen hatten den Drang der dänischen Soldaten nach Bequemlichkeiten gezügelt, sagte er.
    Es war einfach unwiderstehlich. Und einfach entsetzlich, das auch.
    Sie hatte mit ihrem Mann telefoniert, hatte gehört, wie er sich nach Benjamin erkundigte und sich wunderte, wieso die Erkältung so rasch abgeklungen war. Sie hatte auch gehört, wie er ins Handy sagte, dass er sie liebe und wie sehr er sich aufs Nachhausekommen freue. Dass er vielleicht sogar schon eher zurückkommen würde. Sie glaubte nicht die Hälfte dessen, was er sagte, und genau da lag der Unterschied. Der Unterschied zu früher, als seine Worte ihr noch imponiert hatten. Heute schüchterten seine Worte sie nur noch ein.
    Sie fürchtete sich. Fürchtete sich vor seinem Zorn, fürchtete sich vor seiner Macht. Setzte er sie vor die Tür, hatte sie nichts, dafür hatte er gesorgt. Na gut, vielleicht etwas. Aber eigentlich blieb ihr nichts. Vielleicht nicht einmal Benjamin.
    Er war so wortgewaltig. Er jonglierte mit Worten. Wer würde ihr schon glauben, wenn sie sagte, dass es Benjamin bei seiner Mutter am besten ginge? War denn nicht etwa sie diejenige, die wegging? Hatte ihr Mann nicht sein Leben für die Familie geopfert? Nahm er nicht all die Geschäftsreisen auf sich, um ihnen ein Auskommen zu ermöglichen? Sie konnte sie schon hören, die Leute vom Jugendamt. All die Sachverständigen, die sich allein an seiner Reife orientieren und verächtlich auf ihre Fehler deuten würden.
    Sie wusste es jetzt schon. Nachher rufe ich Mutter an, dachte sie. Ich schlucke alle Scham runter und erzähle ihr alles. Sie ist meine Mutter. Sie wird mir helfen. Ganz bestimmt.
    Und die Stunden vergingen und die Gedanken bedrückten sie. Warum ging es ihr bloß so? Weil sie sich nach nur wenigen Tagen einem wildfremden Mann näher fühlte als ihrem eigenen Ehemann jemals in all den Jahren? Denn es stimmte. Ihren Mann kannte sie im

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