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Erlösung

Erlösung

Titel: Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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von ihrer Transportfähigkeit überzeugt hatte, fuhr er los.
     
    Seine Schwester und ihr Mann lebten in einem kleinen weißen Bauernhaus am Ortsrand von Årup. Es lag dicht an der Landstraße und nur wenige Kilometer von der Kirche entfernt, an die sein Vater zuletzt versetzt worden war.
    Mit Sicherheit der letzte Ort auf dieser Erde, wo er sich niederlassen würde.
    »Und woher kommst du dieses Mal?«, fragte ihn sein Schwager desinteressiert und deutete auf ein Paar ausgelatschte Pantoffeln, die im Flur standen. Im Haus waren die für alleGäste Pflicht. Als wäre der Fußboden jemals auch nur das Geringste wert gewesen.
    Er folgte dem Geräusch ins Wohnzimmer und fand dort seine Schwester. Vor sich hin summend saß sie in einer Ecke. Die Zeit und die Motten hatten an der Wolldecke, in die sie gehüllt war, ihre Spuren hinterlassen.
    Eva erkannte ihn wie immer an seinem Schritt, aber sie sagte nichts. Sie hatte enorm zugenommen, seit er sie zuletzt gesehen hatte, mindestens zwanzig Kilo. Der Körper uferte in alle Richtungen aus. Die Erinnerung an seine junge, zierliche Schwester, die so begeistert im Garten des Pfarrhofs getanzt hatte, würde bald auf immer ausgelöscht sein.
    Sie begrüßten sich nicht, das taten sie nie. Höflichkeitsfloskeln gehörten nicht zum Erbschatz ihres Elternhauses.
    »Ich bin nur auf einen Sprung hier«, kündigte er gleich an und hockte sich vor sie hin. »Wie geht es dir?«
    »Willy sorgt gut für mich«, antwortete sie. »Wir essen gleich zu Mittag. Willst du auch eine Kleinigkeit haben?«
    »Danke, einen Happen esse ich mit. Und dann fahre ich wieder.«
    Sie nickte. In Wahrheit war es ihr egal. Seit das Licht in ihren Augen erloschen war, hatte auch der Wunsch, Neues über ihre Mitmenschen und die Welt ringsum zu erfahren, mehr und mehr nachgelassen. Vielleicht musste das so sein. Vielleicht füllten die Bilder der Vergangenheit zu viel in ihr aus, auch wenn sie sicher langsam verblassten.
    »Ich habe Geld für euch mitgebracht.« Er nahm einen Umschlag aus der Tasche und drückte ihn ihr in die Hand. »Das sind dreißigtausend Kronen. Damit kommt ihr hoffentlich zurecht, bis wir uns das nächste Mal sehen.«
    »Danke. Wann?«
    »In ein paar Monaten.«
    Sie nickte und hievte sich hoch. Er wollte ihr den Arm reichen, aber sie entzog sich ihm.
    Den Tisch in der Küche bedeckte ein Wachstuch, dessen beste Tage wahrscheinlich Jahrzehnte zurücklagen. Darauf standen Blechteller mit billiger Leberpastete und undefinierbaren Fleischstücken. Willy kannte in der Gegend Leute, die mehr Wild schossen, als sie essen konnten, sodass es ihnen nie an Kalorien mangelte.
    Als sein Schwager den Kopf auf die Brust senkte und das Vaterunser betete, keuchte er asthmatisch. Er wie auch die Schwester hatten zwar die Augen fest zugekniffen, aber alle ihre Sinne waren auf das Tischende ausgerichtet, an dem er saß.
    »Hast du Gott noch nicht gefunden?«, fragte ihn seine Schwester nach dem Gebet und richtete ihre weißmelierten toten Augen auf ihn.
    »Nein«, antwortete er, »den hat Vater aus mir rausgeprügelt.«
    Da hob sein Schwager langsam den Kopf und sah ihn hasserfüllt an. Früher war er einmal ein flotter Kerl gewesen, mit jeder Menge Flausen im Kopf. Er hatte in die weite Welt hinausgewollt, daunenweiche Frauen erobern. Als er Eva traf, blendete sie ihn mit Verletzlichkeit und schönen Worten. Er hatte Christus schon immer gekannt, allerdings nicht als besten Freund.
    Das brachte ihm erst Eva bei.
    »Sprich anständig über Schwiegervater«, sagte der Schwager. »Er war ein heiliger Mann.«
    Er sah zu seiner Schwester. Ihr Gesicht zeigte überhaupt keinen Ausdruck. Falls sie in dem Zusammenhang einen Kommentar abgeben wollte, hätte sie das jetzt getan, aber sie schwieg. Natürlich schwieg sie.
    »Du glaubst also, unser Vater ist im Paradies?«
    Sein Schwager kniff die Augen zusammen. Das war die Antwort. Er sollte sich bloß in Acht nehmen, auch wenn er Evas Bruder war.
    Er schüttelte den Kopf und erwiderte den Blick des Schwagers. Solche Menschen sind doch hoffnungslos, dachte er. Wenn Willys Idealvorstellung tatsächlich ein Paradies war, in dem sich abgestumpfte, engstirnige Pfarrer dritten Ranges tummelten, dann würde er ihm von Herzen gern behilflich sein, schnellstmöglich dorthin zu gelangen.
    »Hör auf, mich so anzustarren, Schwager. Ich habe dir und Eva dreißigtausend Kronen gegeben. Für die Summe verlange ich, dass du dich in der halben Stunde meiner Anwesenheit unter Kontrolle

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