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Erlösung

Erlösung

Titel: Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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hast.«
    Er sah hinauf zu dem Kruzifix, das über dem verkniffenen Gesicht des Schwagers an der Wand hing. Das Teil war schwerer, als es den Anschein hatte.
    Das hatte er am eigenen Leib zu spüren bekommen.
     
    Auf der Brücke über den Großen Belt merkte er im Laderaum Erschütterungen. Deshalb hielt er vor der Mautanlage an, öffnete die Klappe und versorgte die beiden kämpfenden Körper mit einem weiteren Spritzer Chloroform.
    Erst als hinten wieder Ruhe eingekehrt war, fuhr er weiter. Verärgert öffnete er das Seitenfenster, die letzte Dosis war unkontrolliert gewesen.
    Als er das Bootshaus in Nordseeland erreichte, war es noch immer zu hell, um die Kinder hineinzuführen. Vom Meer glitten Segelboote in den Fjord hinein, die ersten dieses Jahres, aber die letzten dieses Tages. Sie waren unterwegs zu den Yachthäfen in Lynæs und Kignæs. Schon ein einziger Neugieriger mit Fernglas reichte, und alles wäre verloren. Sorgen machte ihm allmählich nur, dass es im Laderaum des Wagens so verdammt still war. Falls die Kinder an der Dosis Chloroform gestorben waren, wären die monatelangen Vorbereitungen umsonst gewesen.
    Er starrte auf den widerspenstigen blutroten Himmelskoloss, der drüben am Horizont festgekeilt zu sein schien. Über deruntergehenden Sonne hingen flammendrot die Abendwolken. Verdammt, jetzt geh doch endlich unter, dachte er.
    Dann nahm er sein Handy. Die Familie in Dollerup wunderte sich sicher schon, warum er mit den Kindern noch nicht zurück war. Er hatte ihnen versprochen, vor der Ruhestunde wieder da zu sein, und das hatte er nicht eingehalten. Er sah sie vor sich, wie sie mit gefalteten Händen um den Esstisch mit den brennenden Kerzen versammelt waren. Bestimmt sagte die Mutter gerade, das sei das letzte Mal gewesen, dass sie sich auf ihn verließen.
    Und wie schmerzlich sie doch recht haben würde!
    Er rief an. Nannte gar nicht erst seinen Namen. Sagte nur, seine Forderung belaufe sich auf eine Million Kronen. Gebrauchte Scheine, in einem kleinen Beutel, den sie aus dem Zug werfen sollten. Er erklärte genau, um welche Uhrzeit sie abfahren und wie und wann sie umsteigen mussten, und auf welchem Streckenabschnitt sie nach dem Stroboskoplicht Ausschau halten sollten und auf welcher Seite des Zuges. Er würde die Lampe in der Hand halten und sie würde kräftig aufblitzen. Sie sollten ja nicht zögern, es gäbe nur diese eine Gelegenheit. Wenn sie den Beutel geworfen hatten, würden sie ihre Kinder bald wiedersehen.
    Und sie sollten ja nicht auf die Idee kommen, ihn zu hintergehen. Jetzt am Wochenende und dazu noch den ganzen Montag hätten sie Zeit, das Geld zu beschaffen. Und am Montagabend sollten sie den Zug nehmen.
    Fehlte Geld, würden die Kinder sterben. Nahmen sie Kontakt zur Polizei auf, würden die Kinder sterben. Versuchten sie bei der Übergabe krumme Sachen, würden die Kinder sterben.
    »Denkt dran«, mahnte er, »das Geld werdet ihr wieder verdienen, aber die Kinder sind auf immer verloren.« An dieser Stelle ließ er den Eltern immer einen Moment, damit sie nach Luft schnappen, den ersten Schock verarbeiten konnten. »Und denkt auch daran, dass ihr eure übrigen Kinder nicht rund umdie Uhr beschützen könnt. Sobald mir an eurem Verhalten irgendetwas komisch vorkommt, werdet ihr künftig in Unsicherheit leben. Dessen könnt ihr gewiss sein. Und ebenso sicher könnt ihr sein, dass ihr dieses Handy niemals aufspüren werdet.«
    Dann legte er auf. So einfach war das. Noch zehn Sekunden, und das Mobiltelefon war draußen im Fjord verschwunden. In Weitwurf war er schon immer gut gewesen.
     
    Die Kinder waren kreidebleich, aber sie lebten. Im Bootshaus kettete er sie in gehörigem Abstand voneinander an, löste ihnen das Klebeband vom Mund und passte auf, dass sie sich nicht übergaben, nachdem er ihnen zu trinken gegeben hatte.
    Nach dem üblichen Gewinsel aßen sie ein wenig, dann klebte er ihre Münder wieder mit Packband zu. Als er wegfuhr, hatte er ein gutes Gefühl.
    Dieses Bootshaus mit dem niedrigen Dach gehörte ihm jetzt seit fünfzehn Jahren, und in all der Zeit war außer ihm nie jemand in der Nähe gewesen. Der Hof, zu dem das Bootshaus gehört hatte, lag abgeschirmt hinter Bäumen. Das Stück bis hin zum Bootshaus war schon immer zugewachsen gewesen. Einzig vom Wasser aus konnte man das kleine Haus dann und wann ausmachen, und auch das nicht ohne weiteres. Und wer wollte schon in diese stinkende Brühe aus Seetang geraten, der bereits über das Fischernetz wuchs?

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