Erlösung
diesem Fall bin ich zuversichtlicher geworden. Diese ganze Sache mit Crane ist inzwischen so dermaßen aus dem Ruder gelaufen, dass wir sowieso schon nicht mehr nach unseren Regeln handeln können. Da sollte ein weiterer Verstoß nicht wirklich so ausschlaggebend sein. Ich werde mit ihnen sprechen, vertrau mir.“ Das tat ich.
„Es gibt da allerdings noch ein Problem; ich weiß nicht, ob Lesleys Vater überhaupt zulassen wird, dass ich sie so einfach mitnehme…“ Spielte das überhaupt eine Rolle?
Vincent stieß einen knurrenden Laut aus und beantwortete damit die stumme Frage meines Gewissens. „Vollkommen unwichtig. Wenn alles stimmt, was du mir bisher über Richard Ashton erzählt hast, dann hat ihr Vater sie doch ohnehin schon längst als Tochter aufgegeben. Bring´ sie her und falls nötig, wirst du sie halt einfach entführen müssen.“ Seine Worte klangen beinahe wieder amüsiert.
Nun galt es, keine Zeit mehr zu verlieren. Meine Beine bewegten sich bereits automatisch. In einer schnellen Bewegung war ich auch schon an der Tür und meine Finger legten sich um die Klinke. Alle Fragen, die mir bis gerade eben noch auf der Seele gebrannt hatten, waren mit einem Wimpernschlag nichtig geworden. Ich konnte nur noch an meinen Engel denken, alles andere konnte warten. Es musste warten.
„Wir werden über alles andere reden, wenn ihr zurück seid.“ Vincent war also derselben Meinung wie ich.
Rebecca sah von ihrem Schreibtisch auf, als wir ihr Büro betraten. „Nicholas hat noch etwas zu erledigen, sag´ Michael bitte Bescheid. Er soll ihn nach England fliegen.“ Vincents Worte kamen mit Nachdruck hervor und Rebecca schnappte sich sofort das Telefon, um seiner Aufforderung nachzukommen.
„Danke“, sagte ich schnell. Es war mir ein wenig unangenehm, denn ich war es nicht mehr gewohnt, nur mit dem Finger zu schnipsen und bedient zu werden. Als Mensch war ich verwöhnt gewesen, aber seitdem ich ein Vampir war, musste ich mir das Meiste erst einmal verdienen oder selbst in die Hand nehmen. Die Befehle, die ich in einer Kampfsituation Peter gegeben hatte, waren für mich etwas anderes. Er war mein Waffenbruder gewesen und kein Bediensteter. Wie fern das jetzt alles schien.
Vincent klopfte mir auf die Schulter. „Gib´ auf euch beide Acht.“
„Das tue ich und ich bin bald wieder zurück.“
Michael kannte die Flugroute, denn er hatte mich vor nicht allzu langer Zeit schon einmal von Zürich nach Cambridge gebracht. Dieses Mal bat ich ihn jedoch, abseits vom Anwesen der Ashtons zu landen, ich wollte nicht, dass Lizs Vater oder irgendjemand sonst unsere Anwesenheit bemerkte. Während des Fluges hatte ich mir nämlich einige Szenarien durch den Kopf gehen lassen, aber egal wie ich es anstellte, es lief fast immer auf dasselbe hinaus. Nach unserem ersten Treffen im Krankenhaus hatte mir Richard Ashton bereits eindeutig zu verstehen gegeben, dass er mich nicht leiden konnte und dass ich die Finger von seiner Tochter lassen sollte. Und auch wenn mir seine Meinung ziemlich egal war, so musste ich ja keinen unnötigen Krieg mit ihm anfangen. Ihm einfach aus dem Weg zu gehen, erschien mir weitaus klüger.
Michael sollte auf uns warten, denn ich wollte Liz nur kurz die Situation erklären und sie dann sofort mitnehmen. Kein Aufsehen erregen, schnell und effizient, das konnte ich am besten. Als ich einen Teil des weitläufigen Geländes durchquert hatte, musste ich diesen Gedanken allerdings ganz schnell wieder verwerfen. Ein unverkennbarer Geruch stieg mir unerwartet in die Nase und das Gefühl von Panik übermannte mich schneller als ich laufen konnte. Ein Vampir war bereits hier. Und ich wusste, dass es keiner aus Vincents Schutzkommando war. Es war Peter. Ich roch unter anderem das Leder seines Mantels, obwohl es nur ein feiner Hauch war. Doch seine Präsenz würde ich vermutlich überall und jederzeit ausmachen können, dafür waren wir zu lange und zu oft Gefährten gewesen. Wenn ich ihn spüren konnte, dann würde er auch sicherlich wissen, dass ich nun hier war. Verflucht! Wo waren die anderen Jäger? Hatte Peter sie ausgelöscht?
Ich beschleunigte meine Schritte und flog förmlich über die offene Fläche. Vorbei an den Stallungen und durch das angrenzende Waldstück, bis ich das imponierende Herrenhaus endlich sehen konnte. Blitzschnell huschte ich zum anderen Teil des Gebäudes, denn Lesleys Zimmer lag auf der westlichen Seite. Ich filterte aus den vielen verschiedenen Gerüchen ihren Duft heraus
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