Erloschen
über sich ergehen. Was nicht einer gewissen Ironie entbehrte, denn gewöhnlich war es Racine, die gefährliche Alleingänge riskierte und ohne Verstärkung losstürmte. Aber egal. Maggie dachte nur an ihre frierenden Füße. Und selbst in der frischen kalten Luft merkte sie, dass sie stank.
»Hast du überhaupt einen Schimmer, wie gefährlich es war, ihm da runter zu folgen?«
»Wahrscheinlich kennt er sich in den Tunneln aus«, sagte Tully, der seinen Arm fest an seine Seite presste. Er hatte sie angesehen, als hätte sie nicht mehr alle Tassen im Schrank, weil sie sich sofort nach ihm erkundigt hatte; immerhin war sie die, die aus einem Loch gestiegen kam. Aber er hatte ihr zumindest versichert, dass nichts gebrochen war. Daran hegte sie angesichts seiner blassen Gesichtsfarbe allerdings ihre Zweifel.
»Man klettert da nicht runter, es sei denn, man weiß, was man tut«, fuhr Racine fort.
»Warst du schon mal unten?«
»Nein, doch ich habe Geschichten gehört. Die Tunnel ziehen sich über das gesamte Gebiet hier. Und um die zu durchsuchen, braucht man heutzutage eine höhere Sicher heitsfreigabe als fürs Pentagon.«
»Denkst du, dass er unser Glühwürmchen ist?«, fragte Tully.
»Warum sollte er sonst weglaufen?«
»Hast du ihn gesehen?«
Sie schüttelte den Kopf. Nein, sie hatte ihn nicht gesehen, und sie fragte sich mittlerweile, ob das im Tunnel unten tatsächlich sein Schatten und seine Schritte gewesen waren. Das ergab nämlich keinen Sinn. Vielleicht sollte sie später mit Tully darüber reden. Racine gegenüber wollte sie es nicht ansprechen, denn dann blühte ihr nur die nächste Predigt.
»Es könnte auch schlicht irgendein Obdachloser gewesen sein«, sagte Racine. »Womöglich schlurfte er nur zufällig nach dem Brand hier herum und kriegte es mit der Angst, als er uns gesehen hat.«
»Was ist in dem Rucksack?«, fragte Maggie, die erst jetzt bemerkte, dass Tully ihn bei sich hatte.
»Ich glaube nicht, dass der ihm gehört. Er könnte ihn gefunden haben … oder geklaut«, antwortete Tully und nahm den Rucksack von seiner Schulter. Dabei fiel Maggie auf, dass er die Zähne zusammenbiss. Er musste ziemliche Schmerzen haben.
Tully zog den Reißverschluss auf und zeigte auf die kleine blaue Mappe darin.
»Wie viele Obdachlose kennt ihr, die ihren Pass mit sich rumschleppen?«
Racine zog ein Paar Latexhandschuhe aus ihrer Bomberjackentasche und streifte sie sich über. Dann zupfte sie den Pass heraus und blätterte ihn vorsichtig auf.
»Cornell Stamoran. Ein netter, adretter junger Mann. Blond, blaue Augen. In Schlips und Kragen.«
»Der Kerl, hinter dem wir hergelaufen sind, hatte einen Bart und langes, ungepflegtes Haar.« Maggie betrachtete das Foto, das Racine ihr hinhielt. »Und er sah älter aus.«
»Vielleicht hat irgendjemand den Rucksack in der Gasse weggeworfen.« Tully drehte den Rucksack um, sodass sie die rußverschmutzte Rückseite sahen. »Unser Bärtiger könnte ihn gefunden haben, wo Cornell ihn fallen gelassen hat, bevor ihm der Schädel eingeschlagen wurde.«
»Du denkst, dass Cornell unser Opfer aus dem Ge bäude ist?«
»Wir haben seine Adresse«, sagte Racine, die den Pass zuklappte. »Ich schicke jemanden hin, der überprüft, ob er zu Hause ist. Es könnte eine ganz simple Erklärung für alles geben. Okay, ich muss wieder in die Stadt. Und ich will, dass Ganza sich den ansieht.« Sie wies auf den Rucksack.
»Ich bringe ihn ins Labor«, sagte Tully und behielt den Rucksack bei sich.
Racine zögerte.
»Seid ihr zwei okay?«
»Natürlich«, antwortete Tully gereizt.
»War ja nur eine Frage.«
Maggie musste grinsen. Sie war froh, dass endlich mal jemand anders mit dieser Frage genervt wurde. Dennoch war Tullys schweißglänzende Stirn besorgniserregend, denn sie standen im Schatten der Lagerhäuser, den die bereits tief stehende Nachmittagssonne warf, und hier war es kalt.
Maggie war neben ihm auf dem Gehsteig und sah, wie Racine wegfuhr. Keiner von ihnen hatte ein Wort über den zerrissenen Rücken von Racines Lederjacke verloren. Irgendwie schien das jetzt das perfekte Sinnbild für diesen verrückten Tag.
»Das ist kein harmloser Kerl, der auf der Straße lebt.«
»Glaub ich auch nicht«, sagte Tully.
»Unten war noch jemand.«
»Ein Kanalarbeiter?«
»Eher nicht. Er hat die Glühbirnen zerschlagen.«
Hier horchte Tully auf. Und wirkte beunruhigt.
»Weißt du, ob die Tunnel in Kreisen verlaufen?«, fragte Maggie.
»Keine Ahnung, aber das kommt mir
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