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Erloschen

Erloschen

Titel: Erloschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Kava
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Leute nur wie durch ein Wunder lebend herausgeschafft hatten.
    Otis P. saß sein erstes von fünfundzwanzig Jahren ab. Sam vermutete, dass ihm die Aufmerksamkeit und der Nervenkitzel fehlten. Und ohne die Feuer in den Lagerhäusern hätte Jeffery garantiert nie über den Mann nachgedacht. Sam fragte sich, ob Jeffery allen Ernstes das Interview mit Otis P. für einen Dokumentarbeitrag wollte oder schlicht mehr über Brandstiftung im Allgemeinen von ihm erfahren wollte.
    Sam war noch dabei, ihre Kamera aufzubauen, als ein Wärter den Gefangenen hereinbrachte. Er und Jeffery begrüßten sich, während Otis’ Fußschellen an den Ringen im Betonboden befestigt wurden. Sam hatte Fotos von ihm gesehen, war aber dennoch überrascht von seiner riesigen Gestalt und dem schiefen Grinsen. Achtete man nicht auf das schüttere Haar, sah er wie ein zu schnell zu hoch gewachsener Teenager aus, der sich mit seiner eigenen Größe nicht wohlfühlte. Er hatte ein jungenhaftes Gesicht, das echte Neugier ausdrückte, und ein entwaffnendes Lächeln.
    »Kriege ich so ein minikleines Mikro an den Kragen geklemmt?«, fragte er mit einer leisen, sanften, fast kindlichen Stimme, während sein Blick von Jeffery zu Sam wanderte.
    Sie zog ein drahtloses Mikro aus ihrem Koffer und hielt es hoch. »Macht es Ihnen was aus?«
    »Nee, finde ich gut.« Er leckte sich die Lippen.
    Zu Sams Erleichterung nahm der Wärter ihr das Mikro ab und steckte es ihm an.
    Sie nickte Jeffery zu, als die Kamera bereit war, doch es war Otis P., der auf das Stichwort reagierte.
    »Ich habe ein Geschenk für Sie«, sagte er zu Jeffery.
    Diese Behauptung entlockte selbst dem altgedienten Nachrichtenmann ein Stirnrunzeln, das Sam beunruhigte. Sie hatte viele von Jefferys Auftritten gefilmt, und das hier war nicht geschauspielert.
    Otis P. lächelte wieder, benetzte sich erneut die Lippen und sagte: »Ich weiß, wo eine Leiche liegt. Ein hübsches kleines Ding, das nichts als orange Strümpfe anhat.«

28
    Sam wusste, dass Kriminelle andauernd logen. Bei ihren vorherigen Interviews hatten Jeffery und sie sich von den Mördern die bizarrsten Geschichten angehört. Geschichten, wie sie den Opfern nachstellten und sie umbrachten. Sie beschrieben die Details, als wären sie stolze Handwerker, die ihre Berufsgeheimnisse preisgaben.
    Manche erzählten von scheußlichen Folterritualen, die sie als Kinder hatten erdulden müssen, als würde das ihre Neigung erklären oder entschuldigen. Es war so gut wie unmöglich zu unterscheiden, was wahr und was erfunden war. Sie alle hatten »lebenslänglich« mit we nig Aussicht auf vorzeitige Begnadigung, also nichts zu verlieren.
    Aber Otis P.? Sam verstand ihn nicht. Welchen Grund hatte er zu gestehen? Er bat nicht mal um die Anwesenheit eines Anwalts. Nein, ihn schien es nicht zu küm mern, dass diese neue Enthüllung ihm noch weitere Jahre aufbrummen könnte. Der einzige Grund, der Sam einfiel, war, dass der Mann dringend noch mehr Aufmerksamkeit für sich wollte. Und die bekam er ganz sicher.
    Beim Interview blieb Jeffery ungewöhnlich ruhig und geduldiger denn je, wie Sam feststellte. Er ließ Otis P. Zeit zu erzählen, und genau das tat Otis P. auch und schien jede einzelne Sekunde zu genießen.
    »Er hat mir gesagt, die hat ihn gefragt, ob er sie mit nimmt. Die war süß, hat er gesagt, ein schnuckeliges Ding. Aber kein Mädchen, ne? Da war er echt streng. Keine kleinen Mädchen, auch keine kleinen Jungs. Die sind keine ›Herausforderung‹. Also, hat er jedenfalls gesagt.«
    Otis lehnte sich grinsend zurück, sehr zufrieden, ein Publikum zu haben. Und er wollte die Arme vor der Brust verschränken, bevor ihm aufging, dass seine Handfesseln im Boden verankert waren. Aber das riss ihn nur vorübergehend aus seiner Selbstzufriedenheit. »Ihr Wagen war verreckt, an einem von diesen Rastplätzen an der Interstate. Er brachte sie irgendwo in den Wald. Schlug ihr die Rübe ein. Aber nicht so, dass sie tot war. Er wollte sie ja aufschneiden, solange sie noch warm war.«
    Er verstummte mit diesem dümmlichen Grinsen im Gesicht, wie ein kleiner Junge, der auf eine Reaktion wartete und nicht wusste, ob er gelobt oder bestraft werden würde.
    »Das hat er gesagt. Er fand’s gut, wenn das Blut noch warm war, wenn er’s anfasste. Dann hat er ihr die Eingeweide rausgezogen und geguckt, wie die aussehen, wie die sich anfühlen.«
    Als keiner von ihnen eine Regung zeigte, fuhr er fort: »Er hat ihr alles abgenommen, damit keiner mehr weiß, wer

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