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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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wenige Zentimeter voneinander entfernt, die Flinte schwebte wie eine Gewichtstange zwischen ihren Hälsen. Der Mann, dem Dany den Brieföffner in die Seite gerammt hatte, presste eine Hand gegen die blutende
Wunde und schleppte sich zu den Kämpfenden. Er griff in die Jackentasche, holte einen Totschläger heraus und hieb ihn Dany mit dem bleibeschwerten Ende in den Nacken.
    Dany brach in die Knie. Der Mann ließ den Totschläger noch einmal auf seinen Hinterkopf niedersausen, gerade als sich der zweite Schuss aus der Flinte löste. Aber auch diesmal trafen die Kugeln nicht Dany, sie trafen den Mann mit dem Totschläger, und noch immer schien keiner der Putzleute vor der Glaswand etwas zu bemerken. Sie wischten, saugten und staubten ab, während der Mann mit dem Totschläger hinter Dany einfach zur Seite kippte.
    Auf einmal wurde Ella der Kopf zurückgerissen, ein scharfer Ruck an den Haaren, der ihren Nacken durchzuckte wie ein Stromschlag, und Kleist hielt sie so, hielt sie an den Haaren fest und keuchte dicht neben ihrem Ohr: »Dafür mache ich Sie fertig!«
    Dany kam mühsam wieder hoch und taumelte auf den Mann mit der Schrotflinte zu. Als der Mann noch hektisch versuchte, neue Patronen in die abgeknickten Läufe zu schieben, stieß Dany mit dem Brieföffner zu, einmal und noch einmal. Der Mann ließ die Schrotflinte fallen und schien ihn zu umarmen, dann gingen sie zusammen zu Boden.
    Die Putzfrauen sammelten sich auf dem Gang. Einige von ihnen traten auf die Glaswand zu und schnitten Grimassen, als schauten sie in den Spiegel einer Damentoilette. Sie lachten und riefen sich etwas zu, worauf sie wieder lachten. Dann machten sie nach und nach alle Lampen aus und wandten sich ab, verließen träge mit ihren Eimern, Staublappen und Fensterwischern die Kanzlei. Nur der Mann mit dem Staubsauger blieb zurück und reinigte noch die Ritzen zwischen Teppichboden und Wänden.
    Helft mir doch, seht ihr denn nicht, was hier passiert?!
    Ella schlug um sich. Sie hob den Fuß und trat aus, aber sie
traf nicht. Ohne ihre Haare loszulassen, schlang Kleist ihr den anderen Arm um den Hals und drückte ihr die Kehle zu. Der Arm war hart, und sie musste schlucken, und alles tat weh, und jedes Mal, wenn sie schluckte, schmerzte es mehr. Kleist drückte sie so hart zu Boden, dass sie das Gefühl hatte, ihr Rückgrat würde zerschmettert.
    Im nächsten Moment saß er auf ihr, die Schenkel rechts und links von ihrem Bauch, und begann sie zu würgen. Die Trenchcoatschöße schlossen sich wie nasse Fledermausflügel um ihn und sie. Ella warf sich hin und her, um ihn abzuwerfen, aber er war schwer, und sie hatte kaum noch Kraft. Siedende Hitze stieg ihr in den Kopf, drückte von hinten gegen die Augen, die Stirn.
    Kleists Gesicht war geschwollen vor Anstrengung, rot, sogar die Augen waren rot, die Adern auf seiner Stirn dick wie blaue Würmer. Er kauerte tief über ihre Brust gebeugt, drückte erbarmungslos zu, und sie wunderte sich, dass sie noch bei Bewusstsein war. Ihre Lungen bäumten sich auf. Das Blut schien hinter ihren Schläfen zu hämmern. Ihr Kopf war jetzt ganz nah an der Glaswand. Sie verdrehte die Augen, aber alles, was sie sah, war Kleists verzerrtes Gesicht über dem ihren und die Staubsaugerdüse, die der Putzmann auf der anderen Seite dicht an der Wand über dem Teppich hin und her schob , aber er bemerkte sie nicht, obwohl er geradewegs auf sie herabzuschauen schien.
    Hilf mir. Ich sterbe.
    Ihr Gesichtsfeld zog sich zusammen, es wurde dunkel und körnig. Da tauchte Dany hinter Kleist auf, er hielt etwas in der Faust, die von oben herabstieß, auf Kleists Kopf, ihm etwas in den Nacken rammte, und im selben Moment ließ der Druck der Hände an ihrem Hals nach.
    Sie verspürte einen jähen Hustenreiz. Sauerstoff schoss ihr in die Lungen, durch die schmerzende, gequetschte Luftröhre,
und ihre Sicht wurde wieder klar. Hell und klar und deutlich sah sie, wie Kleist langsam vornübersank, mit weit geöffnetem Mund sank sein Kopf auf sie zu, sein Speichel vermischt mit Blut, und aus seinem Rachen ragte die Klinge des Brieföffners wie eine schmale Zunge aus reinem Silber.

27
    Es war ein kühler, sonniger Morgen, und die kleine Trauergemeinde stand im Schatten einer Rotbuche am Rand des offenen Grabes, des letzten vor der hohen Ziegelmauer des Friedhofs. Das dichte Laub des Maulbeerbuschs hinter dem schlichten

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