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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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Anfang sind sie jedes Mal zu sehr in Panik«, fuhr Ella fort, »sie stehen einem bloß im Weg herum und nerven einen mit ihren Fragen, Doktor, können Sie ihr helfen, kommt er durch, sie wird es doch schaffen, wohin bringen Sie ihn, machen Sie doch schneller, bitte, können wir etwas tun – «
    Â»Wovon reden Sie eigentlich, Herrgott?!« Kleist hatte auf Pause geschaltet, und Mado schaute reglos in die winzige Kamera ihres Computers, erstarrt im Rahmen des Flachbildschirms, noch am Leben und doch schon tot.
    Â»Von Dankbarkeit«, sagte Ella. »Kaum sind sie dann nämlich im Krankenhaus, haben sie einen schon vergessen, sie sehen einen gar nicht mehr, und wenn sie es schaffen, wenn sie wieder
gesund werden, kommt keiner, der einem mal Blumen bringt oder einfach nur Danke sagt. Sie vergessen es, sie wollen nicht daran erinnert werden, an ihre Sterblichkeit .«
    Der Mann mit der Schrotflinte beobachtete jetzt die Vorgänge vor dem Büro, den Staubsauger auf dem Gang, die Putzfrauen in den Büros, und Dany nutzte den Umstand, dass er abgelenkt war, um seine Position neuerlich zu verändern, noch näher an den Schreibtisch zu gelangen.
    Kleist fuhr zu Ella herum und starrte sie an. »Sie wollen wissen, was für ein Mensch ich bin?«, fragte er, als hätte er erst jetzt ihre Frage verstanden. »Ich bin ein Mensch, der alle möglichen Dinge zu bedenken hat, viele Dinge . Für Sie ist das Leben einfach, Ihr Beruf ist einfach: Wenn Sie einen Patienten vor sich haben, kann Ihnen egal sein, um wen es sich handelt. Womit er sein Geld verdient. Wer seine Freunde sind. Ob er der Richtige ist. Sie brauchen bloß zu wissen, woran er leidet und wie Sie ihm helfen können.«
    Er zog die Oberlippe hoch wie ein knurrender Hund, kleine Walnusspartikelchen saßen zwischen seinen Zähnen. »Ich dagegen – bei meiner Arbeit reicht das nicht. Ich muss wisssen, ob ich wirklich den richtigen Patienten habe, bevor ich ihn mir vornehme. Ich muss mir ganz andere Fragen stellen – Fragen, die für Sie keine Rolle spielen. Könnte er in seiner Verfassung noch von irgendeinem Nutzen für mich sein oder ist sein Potenzial ausgeschöpft? Besitzt er vielleicht wichtige Informationen, von denen ich nichts weiß und die mit ihm sterben könnten, wenn ich ihn zu hart anfasse? Hat er möglicherweise mächtige Gönner? Wenn ich ihn jetzt töte, kann ich meine Spuren verwischen oder führen sie direkt zu mir? Für Sie ist ein Patient nur ein defekter Körper, mehr nicht. Ich muss das gesamte Umfeld meines Patienten kennen, seine Persönlichkeit, seinen Status, seinen Platz im Mosaik. Wo kommt er her, warum ist er, was er ist? Und erst wenn ich sein vergangenes Leben genauso
gut kenne wie sein gegenwärtiges, entscheide ich, ob er ein zukünftiges hat.«
    Â»Und dann gibt es die, die sich in einen verlieben«, fiel Ella ihm unbeirrt ins Wort. »Sie sind selten, aber es gibt sie. Sie denken, du bist ein Engel oder so was, weil sie dir ihr Leben verdanken, und die wird man nur los, indem man sie wegstößt. Etwa so – «
    Sie trat Kleist mit voller Wucht gegen die Kniescheibe, gerade als er dem Mann mit der Schrotflinte zunickte und die Hand nach der Waffe ausstreckte. Kleist schrie, krümmte sich zusammen und drückte beide Hände gegen das Knie. Dany warf sich über den Schreibtisch, packte den Brieföffner und stürzte damit auf den unbewaffneten Mann zu. Er war bei ihm, ehe der Mann sich auf den Angriff vorbereiten konnte. Er stieß ihm die Klinge des Brieföffners in die Seite und duckte sich, denn im selben Moment wirbelte der Mann mit der Schrotflinte herum und feuerte auf ihn.
    Wieder gab es das Plopp! einer entkorkten Weinflasche. Ein kaum wahrnehmbarer weißer Blitz schlug unter dem Hammer hervor, und eine volle Ladung Rehposten prasselte gegen das Panoramafenster hinter dem Schreibtisch. Die Kugeln prallten von der Scheibe ab, ohne dass sie zerbrach. Ella sprang auf den Schützen zu und packte die Flintenläufe mit beiden Händen. Der Mann versetzte ihr einen Stoß mit dem rechten Ellbogen gegen das Schlüsselbein. Der Stoß war so heftig, dass ihr für Sekunden schwarz vor Augen wurde.
    Dany kam wieder hoch und stürmte auf den Mann mit der Flinte zu, ehe er den zweiten Schuss abfeuern konnte. Die Fäuste um Lauf und Kolben geklammert, kämpften sie um die Waffe. Ihre Gesichter waren nur

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