Erlosung
Absender in Paris. Aber ihr Deutsch wäre tadellos.«
Sie setzte den Blinker und bog nach rechts ab. »Und wie die Leute heiÃen, wüsste er auch nicht, sagt er, nee, die hätten immer schön Abstand gehalten. Feine Leute. Er glaubt, denen gehört das Haus sogar. Ich hab ihm gesagt, dass wir sie in die Charité bringen und ihn gebeten, die Polizei zu informieren.«
»Wetten, das wollte er nicht«, sagte Max.
» Nee, nee, das machen Sie mal lieber selbst! « Sie warf einen Blick in den Rückspiegel, aber der Verkehr war inzwischen zu dicht, und alle Frontscheiben reflektierten die Sonne. »Max, fragst du dich nicht, was da los war, in der Wohnung? Wer war der Mann? Wer ist die Frau? Warum hat er das mit ihr gemacht, warum hat er sie so zugerichtet? Wer hat uns gerufen? Warum war der Mann noch da, als wir gekommen sind? Wir haben über acht Minuten gebraucht â zehn, bis wir oben waren â, und die ganze Zeit ist er da oben durch Blut gewatet. Sie muss geschrien haben vor Schmerzen, also warum war er noch da? Warum war er nicht längst weg? Interessiert dich das alles nicht?«
»Mich interessiert, wann ich was zu essen kriege.« Max öffnete ein Auge, musterte sie kurz, richtete es dann auf die StraÃe. »Da vorn ist der Türke.«
Ella schaltete das Blaulicht ein und lieà kurz das Martinshorn aufheulen, um einen Mercedes zu vertreiben, der gerade rückwärts in die einzige Parklücke vor dem Imbiss manövrieren wollte. Während sie bremste, kuppelte, in den Rückwärtsgang wechselte und das Lenkrad einschlug, redete sie weiter. »Ich hatte jedenfalls Angst, richtig Angst! So ein Gefühl hatte ich noch nie bei einem Einsatz. In Neukölln bin ich mal angespuckt
und von so ânem verrückten Kickboxer bedroht worden. In Wedding haben Araberclans unseren Wagen mit Steinen beworfen, und in Marzahn haben sie uns die Reifen zerstochen. Bei einer Demo ist vor meinen Augen ein Mädchen von Bullen in voller Montur mit Schlagstöcken dermaÃen zusammengeknüppelt worden, dass ich den Schädel knacken gehört habe. Ich war nur eine Handbreit weit weg, als vermummte Autonome Polizisten mit Pflastersteinen und Brandsätzen beworfen haben, und ich hab Decken über die brennenden Männer geworfen. Ich bin umgerannt, umgestoÃen und einmal beinahe überfahren worden. Aber das alles«, sie schwieg kurz, dann holte sie tief Luft, »das alles war nichts im Vergleich zu dem Gefühl, als ich plötzlich in der Wohnung spürte, dass da noch jemand war. Es war nichts gegen diese würdelose Angst.«
Sie hielt am Bürgersteig, meldete sich in der Leitstelle ab und schaltete den Funk aus. Max hievte sich mühsam von seinem Sitz. »Ich glaube, ich nehme keinen Döner«, sagte er. »Ich nehme ein Hähnchen.« Er stützte sich auf Ellas Schulter und humpelte neben ihr auf die offene Tür des Imbissladens zu. Ãber dem Eingang stand in grünen Buchstaben auf rotem Grund Dürüm Salat Iskender Pommes Burger Pizza Pasta Hähnchen , und neben dem groÃen Schaufenster prangten Farbfotos von krossen Grillhähnchen, goldgelben Pommes frites, überquellenden Dönertüten und bunten Salaten. Im Inneren gab es eine Reihe schlichter Holztische und einen Kühlschrank mit Getränkedosen. Türkische Musik hallte von den rot gestrichenen Wänden wider. Ein Dönerspieà drehte sich langsam vor den glühenden Grillstäben, und in der öligen Hitze wurde man fast schon vom Luftholen satt.
»Jeder Mensch hat über zweihundert Knochen«, sagte Ella zehn Minuten später und schwenkte einen Hühnerknochen, den sie eben heiÃhungrig abgenagt hatte, »die meisten davon in Händen und FüÃen. Wir haben über sechshundert Muskeln,
ein Herz, ein Gehirn, Nieren, Leber, Augen, aber das gröÃte Organ ist unsere Haut, und da hat der Kerl gründliche Arbeit geleistet. Er hat sie ihr praktisch in Streifen geschnitten.«
»Iss«, sagte Max. »Vielleicht waren es die Fische.« Er wedelte mit fettglänzenden Fingern in der Luft herum, um die kleinen zuckenden Leiber nachzuahmen. »Die Fische auf dem Boden, Pirañhas, die sie mit ihren Zähnen â «
»Pirañhas reiÃen keine Fingernägel aus«, sagte Ella, »und sie brechen auch niemand die Rippen. WeiÃt du, ich habe schon viel gesehen â Drogentote, die mit einer schmutzigen
Weitere Kostenlose Bücher