Erlosung
des Clubs, und dann sah sie doch zu Silvan hinüber, und jetzt schimmerten Tränen in seinen Augen. »Silvan«, sagte sie leise, »Silvan, weinst du etwa?«
Er presste die Lippen zusammen, sein Kinn zitterte. Er nahm die Brille ab, damit sie die Tränen sehen konnte. »Mit dir â «, sagte er und schluckte.
»Was ist mit mir?«
»Mit dir habe ich mich immer so lebendig gefühlt â¦Â«
»Ja«, sagte sie. »Aber du bist es nicht.«
»Was bin ich dann?«
»Du bist nur eine Kühlbox für ein Herz, das auf dem Weg zu einem Lebenden ist.«
Er wandte ihr sein Gesicht zu, und jetzt waren die Tränen plötzlich verschwunden. »Du hast doch einen anderen«, sagte er so kalt, dass ihre Seele beschlug.
»Ja«, log sie.
»Seit wann?«
Sie antwortete nicht.
»Liebst du ihn?«
»Ja.«
»So schnell? Das ist keine Liebe, das ist nur eine von deinen Launen. Was gefällt dir denn an ihm?«
»Wenn ich mit ihm zusammen bin, vergesse ich alles um mich herum.«
»Was ist er â Anästhesist? Ich glaube dir nicht.«
»Nein«, sagte sie, »natürlich nicht. Aber dir bleibt nichts anderes übrig.«
Damit stieg sie aus und lieà ihn in seinem in der zweiten Reihe stehenden Porsche sitzen. Sie ging die paar Meter bis zum Eingang des Clubs. Drinnen standen die Zuhörer dicht gedrängt vor der Bühne, aber ganz hinten gab es eine leere Tanzfläche, wo Ella sich an die Wand lehnte. You can cry me a river , sang die Sängerin, I cried a river over you, und Ella dachte, schade, wirklich schade, genau in dem Moment, als Silvan neben ihr auftauchte, und ihr ins Ohr schrie: »Rede mit mir, verdammt noch mal!« Seine Brillengläser funkelten zornig. Kleine Speicheltröpfchen sprühten ihr ins Ohr. »Herrgott, was ist denn bloà in dich gefahren?«
»Ein roter Skoda«, schrie Ella zurück. »Er kam von rechts und hatte Vorfahrt, aber wir hatten das Blaulicht an, und beinahe
hätten wir uns überschlagen und wären in die Spree gerast. «
Yes, cry me a river , sang die schöne blonde Sängerin.» Davon hast du gar nichts erzählt!« Silvan versuchte betroffen zu klingen, bloÃ, dass es ihm nicht gelang bei der Lautstärke.
Ella schrie: »Die Tür auf meiner Seite war von oben bis unten aufgeschlitzt. Als ich sie endlich aufgekriegt hatte, da war mir plötzlich klar ⦠Da dachte ich, das ist nicht das einzige Wrack, aus dem ich raus möchte! «
»Du Schlampe!« Jählings schlug Silvans Stimmung um, das geschah oft bei ihm, seine Chirurgengene, und er versetzte ihr einen StoÃ. Sie prallte mit dem Hinterkopf gegen die Betonmauer, aber niemand bemerkte es. Alle starrten auf die Bühne, auf der die schöne blonde Sängerin im Scheinwerferlicht geschmeidig in das nächste Lied glitt, Willow weep for me . Silvan schüttelte Ella mit den Fäusten und warf sie immer wieder gegen die Wand. Endlich lieà er von ihr ab und bahnte sich einen Weg zum Ausgang, dann war er verschwunden, aus dem Club und aus ihrem Leben, und Ella schüttelte sich wie ein nasser Hund, schüttelte Silvan ab für immer, willow weep for me, listen to my plea, hear me willow and weep for me.
»Davon habe ich gehört«, sagte Max, inzwischen wie in Trance von dem Schmerzmittel, »von dem Unfall. Aber dir ist nichts passiert. « Denkst du? Ella stand auf. »Lass uns fahren, ich möchte ins Bett.«
»WeiÃt du, was die Kollegen über dich sagen?« Max hielt mühsam die Augen offen. »Dass du mit jedem Leben die ganze Welt retten willst. Dass du einen Samariterkomplex hast. Jeden Morgen steht sie freudestrahlend auf und kann es gar nicht erwarten, den ersten Einsatz zu kriegen, wieder Superdoc zu sein, ihre Flügel auszubreiten und loszuschieÃen, um Leben zu retten. Mit dem blauen Flammenschwert auf dem Dach eines roten Rettungswagens den Sterblichen zur Hilfe zu eilen.«
»Wer sagt das? Welche Kollegen?«
»Alle.«
Er hatte recht, alle hatten recht: Sie liebte ihre Arbeit. Es gab nichts, was sich mit dem Gefühl vergleichen lieÃ, jemanden vor dem Tod bewahrt zu haben. Man schwebte, es war ein Rausch, wie wenn man zum ersten Mal verliebt ist , nur ohne den Schmerz. Man liebte und wurde wiedergeliebt, so ein Gefühl war das.
Ella stand neben dem Tisch, sah erst Max an und dann auf die StraÃe hinaus in das Licht
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