Erlosung
geschehen. Die Leute, die gerade eben versucht haben, mich umzubringen, sind hier im Raum, und den Grund, aus dem sie mich umbringen wollen, sehen Sie auf dieser Leinwand. Sie werden es nicht noch einmal versuchen.«
Ella sah sich um, suchte den Mann, der auf sie geschossen hatte, aber er war verschwunden. Sie schaute in die andere Richtung, zu der Kerzenverkäuferin. Die junge Frau lag auf dem Boden, reglos. Sie hatte die dünnen weiÃen Handschuhe noch an, und aus ihrer Schläfe trat nur ganz wenig Blut, das im Dunkeln kaum auffiel. Ella entdeckte die Pistole, mit der sie geschossen hatte, dicht vor ihren eigenen FüÃen. Ein einziger Schrei, dachte sie dankbar, nur ein Schrei und zwei Kugeln verfehlten ihr Ziel .
»Renato Contini«, rief Lazare, »Vorstandssprecher der Banca Nazionale di Roma und GroÃaktionär der Banque National dâAlsace, da unten«, er deutete auf einen Mann in der ersten Reihe, der wie gelähmt dasaÃ, »dort sitzt er! Und da, Carlos Mendoza, erster Vorstand der Grupo Barcelona, der gröÃten Bank Spaniens!«
Zwei Sitze von Contini entfernt sprang ein Mann auf und drängelte sich zu dem Ausgang links von der Bühne durch. Sein Gesicht war riesengroà auf der Leinwand zu sehen, wo er mit hartem Akzent sagte: »Ich sehe überhaupt kein Problem â mein Land steht schon am Rand des Ruins, nur noch ein kleiner Schubs, dann haben wir den Staatsbankrott, und ich sorge dafür, dass die Regierung einfach weggefegt wird, niemand wird Spanien mehr einen Cent leihen â «
Lazare zeigte nach oben auf das nächste Gesicht und nach unten in den Saal. »Doktor Jürgen Volkmann, Vorstandsvorsitzender
der Vereinigten Deutschen Banken, und Jerome Shoemaker von der Royal Commonwealth Bank und Urs Hürli von der Berner Bankgesellschaft, und â «
Unruhe erfasste den Saal. Weitere Männer aus der ersten Reihe strebten dem Ausgang zu, und jetzt standen auch die Chinesen in der dritten Reihe auf. Ihre Brillengläser blinkten, während Lazare die Arme ausbreitete, damit man seine blutende Schussverletzung besser sehen konnte. Immer mehr Zuschauer waren aufgestanden, blockierten die Sitzreihen, die Gänge und Türen und sahen zu ihm auf, staunend, aufgebracht, gebannt. Manche deuteten empört auf die Männer, deren Namen er genannt hatte, andere hielten noch immer die Hände vor den Mund.
Die Kameras fuhren näher an die Bühne heran. Fotografen drängelten sich an den Seitenaufgängen. Wie aus sich selbst heraus flackernd, stand Lazare im lautlosen Blitzlichtgewitter, das ihn umhüllte. Sicherheitsleute liefen an den Seiten der Sitzreihen auf und ab, redeten aufgeregt in ihre Mikroports.
Ella schob sich mühsam durch die dicht an dicht stehenden Aktionäre, um zu Annika zu gelangen. »Pardon! Je suis médecin! Laissez moi passer, sâil vous plaît! Iâm a doctor!«
»Jeder dieser Männer«, fuhr Lazare anklagend fort, »besitzt riesige Aktienpakete der Banque National dâAlsace â unserer Bank! â, und sie alle sind heute hier persönlich erschienen, um mich endlich sterben zu sehen, weil ich mich gegen sie gestellt habe. Denn ich kann nicht zulassen, dass Europa in ihre Hände fällt, dass unsere Länder zu ihren Schatztruhen werden und unsere Bürger zu ihren Geiseln. Diese Männer â und ich war einer von ihnen â stehlen nicht nur unser Geld, sie stehlen nicht nur unser Leben. Sie stehlen uns auch die Freiheit, den Frieden und die Zukunft!«
Er hielt kurz inne, eine Pause, die wie inszeniert wirkte. »Aber das ist noch nicht alles: Hier unten in Reihe fünf sehen
Sie einen Mann, der unsere Bank im Auftrag seiner Regierung dazu benutzen wollte, um mit ihrem Geld nach und nach anonym die Mehrheit an den wichtigsten anderen europäischen Banken zu erwerben und damit die EU selbst in die Hand zu bekommen, als Schatten hinter den Schatten!« Er drehte sich nun ganz zur Leinwand um und schaute fast ehrfürchtig zu ihr hinauf, »Li Deng Tsetung von der China Commercial Bank.« Sein Rücken bebte leicht, vor Schmerzen, dachte Ella, oder vielleicht vor tiefem inneren Abscheu angesichts der Aufnahme, die er mit derselben versteckten Kamera gemacht zu haben schien.
Ella betrachtete den bebenden Rücken, und in diesem Augenblick begriff sie, was die ganze Zeit da gewesen war, ohne dass sie es erkannt hatte: Lazare spielte eine Rolle.
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