Erlosung
einen Arm aus und hielt ihr die Axt entgegen wie ein Geschenk. Als sie sich nicht rührte, sank der Am wieder hinab; klirrend schlug die Axt auf den Boden.
Reglos stand sie da und starrte den Mann an. Es tut mir leid , dachte sie. Oder vielleicht sagte sie es auch, es tut mir leid, das wollte ich nicht . Ihre Sehnen und Muskeln brannten bis zur Schulter herauf, sogar die Knochen schmerzten. Sie hörte ihr Herz, dessen harte, schnelle Schläge ihren ganzen Körper zu erfüllen schienen; sie spürte sie bis unter die Fingernägel. Die Schusswunde an der Hüfte fühlte sich an, als würde eine glühende Kohle hineingedrückt. Trotzdem bückte Ella sich, um den Puls des Mannes zu fühlen; um zu sehen, ob er nicht doch noch lebte.
Plötzlich spürte sie einen kühlen Luftzug über ihre erhitzte Haut streichen, und bevor sie sich noch umdrehen konnte, hörte
sie das schnelle, rhythmische Klicken, das sie schon vorhin im Treppenhaus gehört hatte. Hundepfoten! Etwas versetzte ihr einen heftigen Stoà in den Rücken. Sie taumelte vorwärts und fing sich im letzten Moment, ehe sie über die Beine des Toten stürzte. Von ihrem eigenen Schwung halb herumgerissen, sah sie den Dobermann. Seine Augen waren jetzt klein und hatten einen geröteten Rand, und ein tiefes Knurren drang aus seiner Kehle.
Die Leine schurrte über den Beton. Der Dobermann sprang, die Augen auf Ellas Kehle gerichtet. Seine spitzen Zähne glänzten gelblich. Ohren und Nase waren weià von Löschpulver. Unwillkürlich riss Ella dem Toten die Axt aus der Hand und hieb dem Hund die flache Seite des Eisenblatts gegen die weit aufgerissene Schnauze. Der Dobermann jaulte, drehte sich mitten im Sprung und landete auf der Seite, wo er benommen liegen blieb. Etwas Blut rann ihm aus den Nüstern. Das hast du davon, Hund, dachte Ella; wie bist du überhaupt hier heraufgekommen?
Auf den groÃen Bildschirmen im Foyer des Centre de Congrès und auf den kleineren Monitoren in den Gängen und Konferenzräumen und ebenso auf den zahllosen Computern der Internetuser überall auf der Welt und nicht zuletzt bei der Liveübertragung im Programm von Bloomberg-TV kam der Mann in dem silbergrauen Anzug hinter dem Rednerpult zum Ende seiner Eröffnungsansprache. »Wenn Sie in Ihr Programm schauen«, sagte er, noch immer auf Englisch, »können Sie dort lesen, dass jetzt die Rede des Stellvertretenden Vorstandssprechers der Banque National dâAlsace folgt. Dieser Tagesordnungspunkt wurde gestrichen. Stattdessen spricht zu Ihnen der Vorstandsvorsitzende selbst, Monsieur Raymond Lazare!«
Nach einer Sekunde überraschten Schweigens brachen die Aktionäre in frenetischen Jubel aus. Einige sprangen von ihren
Sitzen auf, als Lazare vom Hintergrund der Bühne ins Scheinwerferlicht trat. Er trug einen schlichten, aber erkennbar sehr teuren schwarzen Einreiher, ein schneeweiÃes Hemd mit Button-down-Kragen und eine golddurchwirkte Krawatte. Nichts an ihm deutete auf die Strapazen der vergangenen Tage hin, auÃer vielleicht einer zornig pochenden Ader auf seiner Stirn. Er sprach mit klarer, lauter, fast heftiger Stimme.
» Iâm certain you all have heard the rumours these days«, begann er, »ich sei tot oder verschollen oder Opfer einer Entführung geworden. Aber das stimmt nicht â ich bin nur gerannt. Ich war auf der Flucht vor den Löwen. Sie kennen die Fabel: Jeden Morgen in Afrika erwacht die Gazelle, und ihr erster Gedanke ist, du musst schneller laufen als der schnellste Löwe, sonst wirst du gefressen. Zur gleichen Zeit erwacht der Löwe und denkt, du musst schneller laufen als die langsamste Gazelle, sonst verhungerst du. Das heiÃt: Es ist egal, ob du Gazelle oder Löwe bist â wenn die Sonne aufgeht, ist es das Beste, du rennst, so schnell du kannst.
Ich bin gerannt. Zuerst war ich die Gazelle, aber die, die mich gejagt haben, waren keine Löwen. Es waren Schakale. Jetzt allerdings bin ich der Löwe und jage die Schakale. Ich weiÃ, wo ich sie finde, denn bevor ich Gazelle und Löwe wurde, war ich selbst einer von ihnen. Ich war beteiligt an der Verschwörung der Schakale zur Zerstörung der Demokratie in Europa. Ich gehörte zu einem Konsortium von Bankern, die ihre Macht dazu benutzen wollten, eine Regierung des Geldes und des Profits über den Regierungen der Europäischen Union zu etablieren. Dies sind ihre Namen, und
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