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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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Hauttransplantat. Er bewegte sich langsam den Gang hinunter auf sie zu, den Oberkörper merkwürdig verdreht. Seine Hände hielten etwas neben dem rechten Oberschenkel – einen Revolver mit nach unten gerichtetem Lauf und Schalldämpfer. Aber er sah sie nicht an, er sah an ihr vorbei auf einen Punkt rechts von ihr. Sie folgte seinem Blick.
    Zwei Absätze unter ihr stand die Frau in der Sanitäterweste zwischen mehreren Männern. Jetzt erkannte Ella die Kerzenverkäuferin ohne jeden Zweifel. Ihr Gesicht schimmerte silbrig im Widerschein der zum Leben erwachenden Leinwand. Ihre Hand steckte unter der vorne offenen Weste, und aus der Nähe sah sie Ella noch ähnlicher.
    Ich bin genau zwischen ihnen. Ich bin da, wo sie mich haben wollen. Ich bin dem Igel nachgerannt.

52
    Ella suchte wieder nach Annika, die jetzt zu ihr herüberschaute, genau zu ihr. Fast konnten sie sich in die Augen sehen, obwohl das unmöglich war im Dunkeln, über die große Entfernung, und doch spürte sie ihren Blick fest auf sich, voller Ahnungen, voller Besorgnis.
    Auf der Leinwand hinter Raymond Lazare erschien die unruhige, nicht ganz scharfe Aufnahme eines im Halbdunkel liegenden Raums, der aussah wie das Kaminzimmer eines Jagdschlosses, nur notdürftig erhellt von einem flackernden Feuer und ein paar antiken Stehlampen auf kleinen Beistelltischchen. Die sechs Männer in dem Raum, jeder mit einem Glas in der Hand, saßen in Ledersesseln oder auf zwei ausladenden Sofas. Sie waren salopp gekleidet, Freizeitdress, wie zum Golfen oder nach dem Angeln. In der Mitte stand ein Dutzend Flaschen mit Wein, Cognac oder Whiskey.
    Die Kamera, offenbar versteckt, bewegte sich von einem zum anderen und von oben nach unten. Jedes Mal sah der, der gerade gefilmt wurde, auf und lächelte und sagte Thanks oder Merci oder Grazie, und man sah sein Gesicht ganz deutlich, denn die versteckte Kamera schien sich auf Höhe der Krawattennadel von jemandem zu befinden, der den Männern etwas zu trinken nachschenkte und sich dabei zu ihnen hinabbeugte.
    Die Kerzenverkäuferin zog ihre Hand unter dem Jackett hervor. Sie trug weiße Handschuhe und hielt eine Pistole, eine Walther PPK, ebenfalls mit Schalldämpfer. Mit wenigen, raschen
Schritten drängte sie sich durch die Zuschauer, bis sie fast neben Ella stand und selbst der Schusswinkel keine Zweifel mehr zuließ.
    Â»Sie sehen hier die sechs mächtigsten Männer im europäischen Finanzwesen«, erklärte Lazare.
    Das war der Moment, in dem die Kerzenverkäuferin die Pistole hob und auf Lazare zielte, und das war der Moment, in dem Ella sich auf die Frau stürzte und den Pistolenarm packte, und das war der Moment , in dem die Frau schoss, und das war der Moment , in dem plötzlich ein Schrei ertönte, so laut, dass es jeder im Raum hören musste, und das war der Moment , in dem Ella wusste, dass Annika wieder einen Anfall hatte, während der Mann mit dem Hauttransplantat auf Ella feuerte, und in den Schrei hinein fiel ein zweiter Schuss, aber alle Augen richteten sich auf Annika, die mit verzerrtem Gesicht im Seitengang stand und nun von einem der Scheinwerfer erfasst wurde, und das geschah alles im selben Moment .
    Gebadet in einen Kegel aus weißem Licht wand sich Annikas Körper in krampfhaften Zuckungen wie geschüttelt von einem Dämon, bevor ein weiterer unbeschreiblicher Schrei aus ihrer Brust drang, ein Schrei, der nichts Menschliches mehr hatte. Der Stoß einer unsichtbaren Faust schien sie von den Füßen zu fegen. Sie brach zusammen, wo sie stand, krümmte sich einen Moment im Licht des Scheinwerfers auf dem blauen Teppichboden, dann lag sie still, während langsam etwas Schaum aus ihrem Mund quoll, und all das konnte man auf der zweiten, kleineren Leinwand neben dem Vorstandstisch sehen.
    In den Sitzreihen sprangen die Aktionäre auf, einige schrien, andere hatten die Hände vor den Mund geschlagen.
    Lazare schwankte leicht hinter dem Rednerpult. Ein roter Fleck breitete sich an seiner rechten Schulter aus. Fast beiläufig presste er die linke Hand dagegen, während er mit der rechten weiter auf die Leinwand deutete, als wäre überhaupt nichts geschehen;
als wären die Männer, die in dem dunklen Raum nun zu reden begonnen hatten, viel wichtiger als alles andere.
    Â»Bitte, bleiben Sie!«, rief er in sein Mikrofon. »Bewahren Sie Ruhe, bitte, und hören Sie mir zu. Ihnen wird nichts

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