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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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sich auf die Lauer und wartet. Es wartet bis das Opfer an einen Ort kommt, den es regelmäßig aufsucht. Wo es Futter findet oder Wasser. Oder wo es wohnt, wenn es ein Mensch ist.
    Ella saß in ihrem Karmann Cabrio und fuhr langsam durch die Akazienstraße. Sie fuhr an ihrem Haus vorbei und danach an den vielen kleinen Cafés, Boutiquen und Spezialitätenrestaurants, derentwegen sie hierhergezogen war. Die letzten Blütenblätter der Akazien bedeckten den Asphalt. Vor der Apostel-Paulus-Kirche fand sie einen Parkplatz, gegenüber von einem indischen Lokal mit einer flatternden Markise. Es regnete wieder schwach, die Scheiben waren beschlagen, und die Tropfen knisterten leise auf dem Verdeck. Der Himmel über den Dächern war gerötet. Dunkel erhob sich die aus roten Backsteinen erbaute Kirche über die dicht belaubten Bäume, die sie umstanden. Die grünspanbefallene Turmspitze schien bis zu den tief treibenden Wolken zu reichen.
    Von ihrem Platz aus konnte Ella ihre Haustür beobachten und die Bürgersteige und die Straße und die wenigen Autos auf der Straße; es war alles wie immer um drei Uhr morgens. Ihre Wohnung lag ganz oben, halb hinter den Kronen der Bäume verborgen; die Fenster waren dunkel.
    Ella holte das Handy aus der Handtasche, die offen auf dem Beifahrersitz lag. Ihr ganzes Leben befand sich in dieser Tasche:
Ausweis, Adressbuch, MasterCard, Geld, Schlüssel. Genau genommen musste sie gar nicht in die Wohnung, solange das Raubtier hier irgendwo auf der Lauer lag. Aber vielleicht fiel ihr etwas auf: ein Wagen, ein Mann, ein Gesicht, selbst wenn es nur ein Schatten in der Dunkelheit war und –
    Die Erkenntnis war wie ein Schlag gegen die Brust, so heftig wie damals, als sie mit dreizehn im letzten Zwielicht des Tages noch Fahrrad gefahren und gegen einen Draht geprallt war, den Kinder zwischen zwei Bäumen über den Weg gespannt hatten. Sie war aus dem Sattel gestürzt, und einige Sekunden lang hatte sie nicht begriffen, was geschehen war, warum sie nicht mehr atmen konnte.
    Als sie dann aufgestanden war und den Draht entdeckt hatte, kam ihr alles um sie herum noch eine ganze Weile merkwürdig verändert vor: als läge ein leichtes Flimmern zwischen ihr und den Dingen. Sie sahen noch genauso aus wie vorher, ihren Platz hatten sie nicht verändert, aber trotzdem war etwas anders geworden. Alles kam ihr klarer vor, eindringlicher, sogar leuchtender, und die Geräusche waren plötzlich lauter.
    Du hast deinen Platz in der Welt verloren .
    Sie konnte nicht mehr in ihre Wohnung, vielleicht nie mehr.
    Ella schaltete die Innenbeleuchtung ein. Sie suchte Annikas Nummer in ihrem Adressbuch, klappte ihr Handy auf und tippte die Ziffern ein, bevor sie das kleine Lämpchen über ihrem Kopf rasch wieder ausknipste. Das Freizeichen ertönte. Sie betrachtete den Regen, der in Rinnsalen über die Windschutzscheibe rann und kurbelte die Seitenscheibe einen Zentimeter herunter, um Luft in den Wagen zu lassen. Dann sah sie im Innenspiegel, dass der Schein des Handy-Displays ihr Gesicht aus der Dunkelheit holte. Sie unterbrach die Verbindung, schloss das Handy an die Freisprecheinrichtung an und drückte die Wahlwiederholung. Danach legte sie das Gerät in ihren Schoß.

    Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine verschlafene Stimme. » Scheiße, ja! … Jansen, hallo?!«
    Â»Ich bin’s – Ella«, sagte Ella leise.
    Â»Welche Ella? Ella Fitzgerald?«
    Â»Bambi«, erklärte Ella. »Erinnerst du dich nicht an mich?«
    Â» Bambi?! Du hast ja Scheißnerven, mich mitten in der Nacht – «
    Â»Max ist tot«, sagte Ella. Sie hatte es anders sagen wollen, aber sie wusste nicht, wie, und sie wusste auch nicht, wie viel Zeit sie dafür hatte. Sie wusste nur, dass Annika es von ihr hören musste, nicht von der Polizei; nicht von jemandem, der sie für die Täterin hielt.
    Â»Drei Jahre lang lässt du nichts von dir hören, seit du mit Max Schluss gemacht hast, und jetzt fällt es dir ein, mich – « Annika unterbrach sich, und als sie weitersprach, klang ihre Stimme anders. » Was ist mit Max ? «
    Â»Er ist tot«, wiederholte Ella.
    Zwei bis zu den Augen verschleierte Frauen näherten sich auf dem Bürgersteig, gingen an dem Wagen vorbei und bogen in eine Seitenstraße. Sie unterhielten sich laut und schnell auf Arabisch. Eine lachte. Ein Taxi mit eingeschaltetem Schild auf

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