Erlosung
diese ganzen Informationen über sie zu sammeln â blitzschnell, innerhalb weniger Stunden â , mit denen er dann seine Kollegen gefüttert hatte: Schaut sie euch an, so eine ist das, eine Lügnerin, eine gewalttätige Frau, instabil. Eine Mörderin.
11
Es war fast halb vier Uhr morgens, und Bruno Matschke saà in der Leitstelle an seiner Workstation und sprach in das Mikro seines Headsets. »Allergischer Schock am Gendarmenmarkt. NAW 4317, seid ihr noch in der Nähe?« Er starrte auf den links vor ihm stehenden Monitor, der einen Stadtplanausschnitt heranholte, und tippte die Koordinaten des Einsatzortes in die Computertastatur. AnschlieÃend wechselte er zu einem zweiten Monitor auf der rechten Seite, auf dem er den Einsatz kontrollieren konnte. »Gut, die Route müsstet ihr jetzt auf dem Navi haben.« Er schwieg, hörte zu, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, die Anruferin weigert sich, die Reanimation durchzuführen.«
Er wandte sich dem in der Mitte des Schreibtischs eingebauten Flachbildschirm der Funk-Draht-Vermittlungsanlage zu, berührte den Bildschirm mehrmals an verschiedenen Stellen mit dem Zeigefinger und sah schlieÃlich zu Ella auf. »Das ist ungewöhnlich«, sagte er.
Ella sagte: »Ihr habt den Notruf doch aufgezeichnet. Es ist wirklich wichtig für mich â¦Â«
»Ist es das nicht immer?« Bruno betrachtete sie eine Sekunde zu lang, zuckte schlieÃlich mit den Schultern. »Vorgestern Nacht?«
»Es war vor dem Brand in der Disko«, sagte Ella, »kurz vor drei, ein Blitz in die Benno-Ohnesorg-StraÃe 7.«
»Ja, jetzt weià ich wieder â ein Mann, der seinen Namen
nicht nennen wollte, die Frau am Fenster.« Er nahm sein Headset ab und reichte es Ella, die sich die Kopfhörer überstreifte. »Erlaubt ist das eigentlich nicht.« Wieder berührte er den Touchscreen, bevor er sich abwandte, die Hände in die Hosentaschen schob und zu einem der drei Dutzend anderen Schreibtische des groÃen Raums ging.
Rings umher surrten Telefone, Computersignale piepsten, und Codes, Fragen und Angaben schwirrten durch die Luft: »Verkehrsunfall in Pankow, ein Toter, zwei Schwerverletzte â Florian Berlin für RTW 4389 in Zehlendorf â Achtung, NAW 4377 kommen â Schlägerei in Wedding mit Messereinsatz, Stichwunden in Brust und Bauch, starke Blutung â hier Florian Berlin, wo seid ihr gerade? â RTW nach Friedenau, Schedingstrasse, Sturzgeburt â «
Bruno beugte sich über die Schulter eines Kollegen, sagte etwas und verzog die Mundwinkel. Als der Kollege antwortete, sah Bruno nach oben zu der verglasten Galerie an der Stirnseite des Raums, verzog die Mundwinkel wieder und schaute schlieÃlich Ella an. Senkte kurz die Lider.
Ella vernahm seine Stimme, zwei Nächte früher, in den Kopfhörern des Headsets: »Berliner Feuerwehr â «
»Gegenüber passiert etwas Schreckliches«, rief ein Mann, »alles ist voller Blut!«
»Von wo rufen Sie an?«, fragte Bruno ruhig.
»Schicken Sie einen Arzt, schnell!« Die helle, fast kindliche Stimme des Mannes überschlug sich vor Aufregung. »Sie stirbt â sie stirbt â «
»Wo sind Sie?«, fragte Bruno. »Sind Sie in der Nähe? Können Sie Erste Hilfe leisten, bis ein Notarzt da ist?«
»Nein â nein â Sie müssen jemanden schicken â schnell â Mein Gott, ich glaube, das war ein Messer!«
»Wir können niemanden schicken, wenn Sie uns nicht sagen, wohin. Wir brauchen die Adresse.«
»Ich weià die Adresse nicht, es ist gegenüber â gegenüber â ich kann es sehen â das Fenster steht offen â «
»Gegenüber von wo? Auf der anderen StraÃenseite? Ãber den Hof? Wo wohnen Sie?«
»Sie bringt sich um â « Seine Stimme klang undeutlich, er verschluckte Buchstaben, ganze Silben. Es hörte sich an wie sie bringt sich um, aber es konnte auch heiÃen sie bringen sich um . »Ich habe sie schreien gehört ⦠der Vorhang â der Vorhang geht zu â die Hand â die Hand ist ganz rot â jetzt ist der Vorhang zu â das Licht! â das Licht ist aus â ich kann nichts mehr erkennen â «
Ella hörte ihn atmen, es war ein hechelndes Keuchen, fast ein Schluchzen, und irgendwo war auch Musik, und als sie genau hinhörte, erkannte sie das Flattern der Plastikplanen.
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