Erlosung
saÃ.
»Auf alle Fälle brauchst du einen guten Anwalt«, sagte Annika. »Jemand, der zwei Hauptkommissaren Befehle geben kann, muss in der Hierarchie des LKA ziemlich weit oben stehen. Allein kommst du gegen den nicht an.«
»Morgen ist Sonntag«, sagte Ella. »Vor Montag hat kein Anwaltsbüro â «
»Und du musst in Bewegung bleiben«, fuhr Annika fort, als wäre sie neben ihrem Medizinstudium jahrelang noch Mitglied einer Terrorzelle gewesen. »Du darfst dich nie lange an einem Ort aufhalten. Ich würde ja sagen, komm her, aber London ist einfach ein bisschen weit weg. Am besten wirfst du das Handy in eine Mülltonne, sobald wir aufgelegt haben. Besorg dir ein neues in irgendeinem Telefonladen, der sonntags aufhat. Ruf mich morgen wieder an, dann habe ich einen Anwalt für dich.«
»London?«, fragte Ella überrascht. »Was machst du denn in London?«
»Da lebe ich«, sagte Annika. »Falls man das Leben nennen kann. Ist âne ganze Menge passiert bei mir in den letzten drei Jahren, weiÃt du.«
Was? , dachte Ella, was ist passiert?Warum hat Max mir nichts davon erzählt? Was für Tabletten nimmst du? An der Ecke HauptstraÃe bog sie nach links ab. Auf dem Kaiser-Wilhelm-Platz saÃen immer noch vereinzelte Nachtschwärmer auf den Steinbänken, hörten Musik aus Ghettoblastern und tranken Bier. »Annika, bei Maxâ Beerdigung werden sie bestimmt in der Nähe sein«, sagte Ella. »Wenn ich nicht â «
»Warte ab, was der Anwalt sagt«, sagte Annika, ohne darauf
einzugehen, als wäre der tote Max ein Geist, der verschwand, wenn man nicht über ihn sprach.
Die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos blendeten Ella, und das Licht blieb zwischen ihren Wimpern hängen, bis sie es wegblinzelte. »Ich musste daran denken, wie wir Max damals â «, fing sie an, hörte aber mitten im Satz auf und sprach nicht weiter.
»Ich kümmere mich um die Beerdigung«, sagte Annika.
»Wir waren noch befreundet«, sagte Ella. »Max und ich. Wir sind Freunde geblieben.«
»Ich weië, sagte Annika und unterbrach die Verbindung, aber Ella schaltete ihr Handy nicht aus. Sie wünschte sich, Maxâ Schwester wäre jetzt hier; sie wünschte, keine von ihnen beiden müsste in dieser Nacht allein sein. Sie sah sie vor sich, Annika, mit ihren tiefseeblauen Augen, dem hellbraunen Kurzhaarschnitt und der MilchstraÃe von Sommersprossen im Gesicht, und auf einmal war es, als hätte es die vergangenen drei Jahre nicht gegeben.
Aber da waren die Tabletten, die veränderte Stimme, die jähe Schärfe â irgendetwas war passiert in dieser Zeit. Was erwartest du denn? Ella wusste, dass Annika ihren Bruder geliebt hatte, mehr als alle Männer, mit denen sie im Lauf der Jahre zusammen gewesen war. Sie hat ihn mir anvertraut, die ältere Schwester, ihrer besten Freundin. Und jetzt ging mitten in der Nacht das Telefon, und die beste Freundin war dran und sagte: Max ist tot, Anni, die Polizei denkt, ich hätte ihn ermordet.
Endlich schaltete Ella das Handy aus, und unter einer S-Bahn-Ãberführung kurbelte sie das Fenster herunter und warf das Gerät hinaus. Sie fuhr weiter die Potsdamer StraÃe hinunter, über den Kanal und bog in die EbertstraÃe ein. Dann sah sie hinter den Häusern den Fernsehturm mit seiner bunten Beleuchtung aus der Nacht auftauchen, und sie fuhr weiter in Richtung Mitte.
Sie versuchte, sich an das erste Telefonat mit Kleist zu erinnern, an die Fragen, die er gestellt hatte. Er hatte nicht nach der Patientin gefragt, danach, was mit ihr geschehen sein konnte, sondern nur danach, wer den Notarzt informiert hatte. Und was sie vielleicht noch gesagt hatte, das auch. Warum hatte er nach nichts von dem gefragt, was Polizisten normalerweise fragen?
Weil er weiÃ, was mit ihr geschehen ist. Er wusste es die ganze Zeit. Der Polizist und die Mörder stehen in Verbindung. Deswegen hatte er sie in der Wohnung angerufen, um sie zu warnen, genau in dem Moment, in dem sie den Notruf gewählt hatte.
Reden Sie nicht mit der Polizei, Doktor Bach. Reden Sie mit uns.
Er war kein falscher Polizist, er hatte nur einen falschen Namen benutzt, und jetzt wusste er, dass sie mit seinen Kollegen redete. Er war keiner von den Tätern, aber er gehörte zu ihnen. Und als er von ihr erfahren hatte, war er sofort losgegangen, um sie unter die Lupe zu nehmen,
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