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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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dem Dach rollte langsam die Straße herunter. Die Scheinwerfer streiften den Karmann, und Ella duckte sich und blieb unten, bis das Taxi vorbei war.
    Â»Er ist ermordet worden«, sagte Ella.
    Â»Das ist überhaupt nicht komisch, Ella«, sagte Anika. »Ich habe noch Dienstagnachmittag mit ihm telefoniert, und da war er so – «
    Â»Ich habe ihn gefunden.« Ella schmeckte plötzlich etwas Bitteres ganz hinten auf ihrer Zunge, weil sie es zum ersten Mal aussprach, und es kam ihr vor, als würde es dadurch erst Wirklichkeit. »Er hatte sich den Knöchel verstaucht, und die Mörder sind in seine Wohnung gekommen – «

    Â»Stopp!«, fiel Annika ihr ins Wort. »Redest du wirklich von meinem Bruder? Wer sollte denn Max ermorden?« Sie schwieg, und während ihres Schweigens füllte sich die Leitung mit einem rauschenden elektrischen Nebel, dem fernen Echo unausgesprochener Gedanken und unvorstellbarer Bilder.
    Â»Ich weiß es nicht«, sagte Ella. Durch das Rauschen konnte sie Annika atmen hören und dazu das Knistern des Regens auf dem Verdeck. Dann sagte sie noch einmal: »Ich weiß es nicht.« Ein heißer Schmerz stieg in ihrer Kehle hoch. »Es war so schrecklich, Anni, das kannst du dir gar nicht vorstellen …« Der Schmerz waren lauter Worte, die jetzt aus ihr hervorbrachen, als sie Annika, mit der sie drei Jahre nicht mehr gesprochen hatte, alles erzählte, was seit vorgestern Nacht passiert war. Als sie fertig war, schwieg Annika noch immer. »Deswegen musste ich dich anrufen. Damit du es von mir hörst, bevor die Polizei sich mit dir in Verbindung setzt.«
    Annika sagte weiter nichts, aber jetzt konnte Ella hören, dass sie schniefte. »Und die denken, das warst alles du?«, fragte sie endlich. Ihre Stimme klang gepresst.
    Â»Ja.«
    Â»Sie halten dich für schuldig, und trotzdem haben sie dich auf freien Fuß gesetzt?«
    Â»Ja.«
    Â»Weißt du, wie das klingt?«
    Â»Glaubst du mir?«, fragte Ella.
    Annika antwortete nicht.
    Â»Du glaubst mir doch, oder?!« Ella merkte, dass sie das Lenkrad umklammerte. »Ich bin es nicht gewesen, und ich bin nicht paranoid.«
    Am anderen Ende der Leitung ertönte ein leises Scheppern wie von Tabletten in einer Plastikdose, dann ein Fluch, »Nein, verdammte Scheiße , nicht jetzt – !« Ein Glas klirrte, gefolgt von Schluckgeräuschen. Was nimmt sie da? , dachte Ella.

    Annika atmete tief ein und wieder aus, dann sagte sie: »Max hat dich immer noch geliebt, die ganze Zeit, weißt du das?«
    Ella sagte nichts. Nach einer kurzen Pause fuhr Annika fort: »Was hast du jetzt vor?«
    Â»Ich habe keine Ahnung«, sagte Ella.
    Â»Haben sie … hat die Polizei gesagt, du sollst dich zu ihrer Verfügung halten? Dass du ständig telefonisch erreichbar sein sollst?«
    Â»Ja.« Ella blickte in den Rückspiegel. Hinter ihr, an der Ecke zur Grunewald Straße, verließen drei schlanke Asiaten in schwarzen Hosen und weißen Hemden ein Restaurant, dessen dunkle Fenster mit Lampions und bunten Papierdrachen verziert waren. Einer brüllte in sein Handy, die beiden anderen unterhielten sich lärmend in einem chinesischen Dialekt. Dann schlugen sie sich lachend auf die Schultern; ihre Brillengläser blinkten, spiegelten die Straßenbeleuchtung. Die Ampel neben ihr wechselte zu Rot, ein Volvo hielt, und das dumpfe Wummern von Musik drang durch die geschlossenen Fenster, Drum ’n Bass. »Was hast du gesagt? Ich habe dich nicht verstanden«, sagte Ella.
    Â»Ich sagte, von wo rufst du an? Aus einer Telefonzelle?«
    Â»Nein, aus meinem Wagen.«
    Â»Mit dem Handy?«
    Â»Ja.«
    Â»Hör sofort auf«, sagte Annika.
    Â»Warum?«
    Â»Hör auf und fahr los, sofort!«
    Plötzlich begriff Ella, noch bevor Annika weiterredete: »Vielleicht versuchen sie, dich anhand deines Handys zu orten. Sie haben deine Nummer, oder? Wenn du diesen Kleist von unterwegs mobil angerufen hast, dann – «
    Â»So schnell geht das nicht«, sagte Ella, aber sie drehte trotzdem den Schlüssel im Zündschloss und startete den Wagen. Sie
fuhr ein weiteres Mal an ihrem Haus vorbei. Sie versuchte, einen Blick in die am Straßenrand geparkten Fahrzeuge zu werfen, aber die nassen Fenster reflektierten die Laternen, die an Stahltrossen im Wind über der Straße schaukelten, und sie konnte nicht sehen, ob jemand darin

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