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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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über die Brücke, ihre Füße polterten auf den Holzbohlen. Mückenschwärme tanzten im Licht der altmodischen Laternen, und das Licht war gefährlich, und sie lief weiter. Hinter der Brücke führte ein schmaler Weg in den Tierpark, zwischen schwarze rauschende Bäume.
Sie spürte Gras unter den Schuhsohlen, und dann lag vor ihr ein Teich, aber sie konnte nicht genau erkennen, wo das Wasser begann.
    Langsam ging sie auf den Teich zu, bis sie eine Bank entdeckte. Sie setzte sich nicht auf die Bank, sondern ließ sich auf die Wurzeln eines mächtigen Baums sinken, und nach ein paar Minuten, in denen sie an nichts dachte, tauchte wieder das Bild des toten Max vor ihr auf. Ella, Bambi … Das war sein Spitzname für sie gewesen, als sie sich noch geliebt hatten. Er hatte ihr das Haar aus der Stirn gestrichen und sie angelächelt, dass ihr das Herz schmolz, und geflüstert: »Ella, Bambi …«
    Warum hast du den Brief nicht abgeschickt, du verdammter Idiot?
    Bild für Bild jagte der ganze Tag an ihr vorbei. Keins der Bilder schien wirklich zu ihrem Leben zu gehören, vor allem nicht das des toten Max in seinem Blut auf dem Küchenboden. Max war nicht jemand, um den man weinte; er war jemand, mit dem man lachte. Sie war so gern mit ihm zusammen gewesen, lieber als mit jedem anderen Mann. Er war zärtlich gewesen, klug und komisch. Es gab nicht viele Männer, mit denen man so lachen konnte, dass man alles vergaß, für ein paar Stunden wenigstens oder auch nur für einen Moment.
    Sie lauschte den Geräuschen des nächtlichen Parks, dem Wind in den Baumkronen, dem Dröhnen des Verkehrs auf dem KuDamm in der Ferne und dem leisen Plätschern im Wasser, wenn eine der Enten erwachte oder ein Fisch an die Oberfläche stieß. Sie dachte wieder an Max, und da fielen ihr die Krebse ein. Weißt du noch, die Nacht, als wir das Krebsessen veranstaltet haben und danach verkleidet durch Kreuzberg getobt sind?
    In jenem Sommer kannten sie sich erst kurze Zeit. Nachts zogen sie immer zusammen mit seiner Schwester Annika durch die Kneipen, und manchmal schlugen sie auch ein bisschen über die Stränge, so wie an dem Abend der Krebse. Es war
Semesterende, Annika hatte gerade ihr Praktikum in der Psychiatrie angefangen, und zur Feier des Tages hatte Max auf dem Fischmarkt einen Eimer voll lebender Krebse besorgt, mit denen sie den Abend in Annikas kleiner Küche beginnen wollten.
    Während sie das Essen vorbereiteten, öffnete Max eine Flasche Champagner, woher hatten wir eigentlich das Geld dafür? , schenkte allen ein Wasserglas voll ein und leerte seins sofort. Annika – schön und groß und Ellas beste Freundin zu der Zeit – stellte eine Pfanne und einen großen Kochtopf voll Wasser auf den Herd. Als es zu sieden begann, legte sie ein großes Küchensieb in die Spüle und leerte den Eimer in das Sieb. Danach nahm sie es, schüttelte die Krebse durch und kippte sie in das sprudelnde Wasser. Das Wasser schäumte hoch. Einer der Krebse wurde gegen den Topfrand gespült, wo seine rudernden Beine Halt fanden. Der nächste kletterte über ihn hinweg und fiel mit einem leisen Knacken vom Topfrand auf den Küchenboden, gleich darauf ein zweiter und ein dritter. Flink krabbelten sie mit vorgereckten Scheren und tastenden Fühlern über die Kacheln, weg vom Herd.
    Ella brachte ihre nackten Füße mit einem Satz auf die Bank am Esstisch in Sicherheit. Annika stürzte kreischend auf den Balkon hinaus, und dann fing auch Ella an zu kreischen, weil ein Krebs den Kurs änderte und auf die Bank zukrabbelte. Ella sprang von der Bank und lief zu Annika auf den Balkon hinaus, wo sie beide gemeinsam schrien.
    Die Passanten auf der Straße blieben stehen und sahen zu ihnen hinauf. Einige Männer lachten und stießen andere Männer an, die ebenfalls zu lachen anfingen und näher ans Haus traten. Erst als Ella eine Frau sah, die missbilligend den Kopf schüttelte und ihren Begleiter von dem Platz unter dem Balkonrost wegzerrte, wurde ihr klar, wohin die Männer starrten. »Hast du wieder kein Höschen an?«, fragte sie Annika.

    Annika schien plötzlich zu frösteln. »Du meine Güte, ja!«, rief sie, kicherte und wollte zurück in die Küche laufen, was ohne Weiteres möglich gewesen wäre, wenn Max nicht die Tür verriegelt hätte. Ein breites Grinsen im Gesicht, stand er auf der anderen

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