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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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Seite und winkte ihnen fröhlich zu. »Dafür wirst du büßen«, sagte Annika leise, aber inbrünstig.
    Als Ella die Kerzen auf dem Küchentisch anzündete, weil sie endlich mit der Suppe anfangen konnten, war Max bereits betrunken. Die mit Champagnersauce und Butter zubereiteten Krebse schmeckten ihm so gut, dass er einen nach dem anderen hinunterschlang, ohne Salat oder Weißbrot dazu zu essen. Bald türmten sich in der Keramikschale vor seinem Platz Köpfe, Scheren und Panzer, und als es keine Krebse mehr gab, fing er an, die Schwänze auszulutschen. Etwas später war auch der Champagner zu Ende.
    Â»Wir brauchen noch Champagner«, rief Max. »Lass uns was trinken gehen, irgendwo in Kreuzberg, okay?« Er stand unsicher auf, klopfte seine Hosentaschen ab, dann sah er seine Schwester an. »Ich hab mein Portemonnaie vergessen, schießt du mir was vor?«
    Â»Okay«, sagte Annika, und Ella entdeckte einen Glanz in ihren Augen, der nichts Gutes ahnen ließ, »aber nur, wenn du in einer Zwangsjacke gehst.«
    Â»In einer Zwangsjacke?«
    Â»Genau«, bestätigte Annika. »Ohne Zwangsjacke kein Champagner. «
    Max ließ seinen Blick zwischen ihnen hin- und herwandern. »Klar, warum nicht«, meinte er gleichmütig und blinzelte Ella zu. »Du hast nicht zufällig eine da?«
    Annika stand auf, ging ins Nebenzimmer und kehrte mit einer weißen Zwangsjacke zurück. »Eine gute Therapeutin«, verkündete sie, »hat dergleichen immer zur Hand. Vor allem, wenn sie einen Freund hat, der auf Fesselspiele steht.« Sie trat
auf ihren Bruder zu. »Hier, du ziehst sie an, und Ella und ich spielen deine Pflegerinnen.«
    Â»Und dann?«, erkundigte Max sich misstrauisch, sah aber keine Möglichkeit mehr zu einem ehrenvollen Rückzug.
    Â»Wir erschrecken auf der Straße ein paar Leute, und danach binden wir dich wieder los.«
    Â»Das ist alles?«
    Â»Mehr oder weniger«, sagte Annika unschuldig.
    Kurz vor elf stiegen sie am Mareinekeplatz aus Ellas offenem Karmann Ghia und führten Max zwischen sich die Bergmannstraße hinauf. Sie hatten ihm die Zwangsjacke angezogen und die Arme vor dem Bauch verschnürt, sodass er nur noch den Kopf und die Beine bewegen konnte. Annika und Ella hatten weiße Kittel über ihre Kleider gezogen, und diesmal trug auch Annika Unterwäsche. »Wir hätten uns noch ein Stethoskop besorgen sollen«, sagte Annika.
    Â»Irrenärzte tragen keine Stethoskope«, sagte Ella.
    Â»Ein Stethoskop kommt immer gut«, sagte Annika.
    Mit wilden Blicken, schüttelte Max den Kopf, bis ihm die blonden Haare in die Stirn hingen. Er rannte ein paar Schritte und drehte sich einmal um die eigene Achse, wobei er ein lang gezogenes Wolfsgeheul ausstieß. »So gut?«, fragte er.
    Â»Perfekt«, erklärte Annika. »Du hast dir deinen Champagner verdient.«
    Es war eine warme Nacht, fast so wie diese, und an den Tischen vor den Restaurants, Cafés und Bars gab es kaum einen freien Platz. Autos auf der Suche nach Parklücken rollten im Schritttempo an den rechts und links abgestellten Fahrzeugen entlang. Aus den Lokalen spülte Musik auf die Gehwege. Kinder, die zu niemandem zu gehören schienen, spielten im Schein der bunten Lichter Fangen zwischen den Tischen. Passanten flanierten über die Trottoirs, und die Luft roch nach exotischen Gewürzen, und irgendwo erklang die Trompete eines Straßenmusikanten.

    Â»Was soll ich eigentlich mit dem Strohhalm?«, wollte Max wissen.
    Â»Ich wüsste nicht, wie du sonst mit gefesselten Armen was trinken willst«, sagte Annika.
    Max starrte erst sie an, dann Ella. »Wieso, ihr bindet mich doch wieder los, oder?«
    Annika und Ella gingen weiter, ohne zu antworten. Er sah ihnen einen Moment lang bewegungslos nach, dann lief er mit wackelndem Oberkörper hinter ihnen her, bis er sie wieder eingeholt hatte. » Oder ?«, rief er.
    Â»Hast du die Küchentür vergessen?«, fragte Annika.
    Ella ergriff seinen rechten Oberarm und zog ihn weiter. »Komm schon, Wolfsmann«, sagte sie.
    Â»Nein!«, schrie er, riss sich los und rannte auf eine Gruppe von Frauen und Männern zu, die im Lichtschein eines Fast-Food-Lokals standen. »Hilfe! Helfen Sie mir, bitte! Befreien Sie mich!« Seine Augen loderten, und ein wenig Speichel rann ihm über die Unterlippe. »Bitte!«
    Die Gruppe wich unbehaglich zurück,

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